Donnerstag, 16. Mai 2024

«Hoffnung bedeutet, auf Gott zu vertrauen»

Dabrina Bet-Tamraz, 37 Jahre alt, wohnt in Wettingen und ist Pastorin
Dabrina Bet-Tamraz wächst als Aramäerin in Teheran im Iran auf und wird dort aufgrund ihres Glaubens verfolgt. Sie muss das Land verlassen. Dabrina lebt heute in Wettingen und erzählt vom Leben mit Asylantenstatus und worauf sie noch hofft.

Wie haben Sie Verfolgung im Iran erlebt?
Schon als Kinder wussten mein Bruder und ich, dass Christen im Iran verfolgt werden. Jedoch hatten wir wenig Kontakt zu Muslimen, da wir eine katholische Schule besuchten. In meiner Jugend habe ich mich noch fleissig im Islam engagiert. Dort konnte ich Gott aber nicht kennenlernen, denn Fragen zu stellen, ist im Islam ein No-Go. An einem Pfingstsonntag hatte ich schliesslich meine erste Begegnung mit dem christlichen Gott. Ich war in der Kirche meines Vaters, als ich plötzlich spürte, wie mich jemand von hinten umarmt, jedoch war niemand hinter mir. Dann hörte ich eine Stimme und das Gesagte wurde mir später durch zwei verschiedene Personen bestätigt.

Als ich acht Jahre alt war, wurde die Verfolgung von Christen schlimmer. Die Regierung liess mehrere Pastoren durch andere Gemeindemitglieder umbringen. Mein Vater wurde oft verhört und war teilweise tagelang weg, ohne dass wir wussten, wo er war. Mit 17 ging ich nach England, um Theologie zu studieren, und einige Jahre später zurück in den Iran, um ein Psychologiestudium  anzufangen. Im Jahr 2009 wurde dann unsere Kirche geschlossen und die regelmässigen Verhöre wurden unangenehmer und  respektloser. Nach einigen Drohungen und meiner Verweigerung zur Kooperation wurde ich schliesslich von der Universität ausgeschlossen. Meine Eltern schickten mich daraufhin ins Ausland.

Was war beim Neuanfang in der Schweiz die grösste Herausforderung für Sie?
Zuerst dachte ich, dass ich bald wieder in den Iran zurückkönne. Am Anfang war ich sehr einsam, ich verstand die Sprache nicht, hatte keine Kontakte. Die grösste Herausforderung war aber, kein Ziel und keinen Plan mehr zu haben. Mit dem Asylantentitel hat man nicht die Möglichkeit, für die Zukunft zu planen, denn man darf weder studieren noch arbeiten.

Wie konnten Sie sich ein neues Leben aufbauen?
Als erstes suchte ich mir eine Kirche, in der ich mich wohlfühlte. Das fand ich im ICF International in Zürich. In der Kirche knüpfte ich Beziehungen und fand neue Freunde. Später zog ich nach Weinfelden, wo ich tiefere Wurzeln schlagen und eine neue Familie finden konnte.

«Egal, ob wir in der Schweiz, im Iran oder in Afrika leben, egal, ob wir reich oder arm sind, Menschen brauchen Gott immer.»

Was sind die grössten kulturellen Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Iran?
Die asiatische Kultur ist eine Wir-Kultur, die europäische ist eher eine Ich-Kultur. Hier ist man individualistisch orientiert, es geht darum, wie es mir geht und wie ich mich fühle. Die Asiaten denken eher als ganze Familie, Kirche oder Gesellschaft. Beide Kulturen haben Vor- und Nachteile. Im Iran, wo man wegen seines Glaubens verfolgt wird, haben auch die Kirche und die Gemeinschaft unter Christen eine ganz andere Bedeutung. Dann heisst es, erwartungslos zu vertrauen, ohne nach dem Warum zu fragen, und auch mal zu akzeptieren, dass nicht alles gut und einfach ist. Diese Hingabe und die Leidenschaft fehlen mir manchmal in der Schweiz.

Brauchen die Menschen in der Schweiz Gott überhaupt noch?
Egal, ob wir in der Schweiz, im Iran oder in Afrika leben, egal ob wir reich oder arm sind, Menschen brauchen Gott immer. Denn er ist der Schöpfer und gibt dem Leben einen Sinn. Ich denke, in der Schweiz sind Individualismus und Humanismus die grössten Hindernisse für den Glauben. Ich finde diese Selbstgerechtigkeit, den Glauben daran, dass man unabhänig von Gott allein durch die eigene Leistung und gute Taten gerecht und rechtschaffen sein kann, problematisch.

Wenn eine Person davon überzeugt ist, ein vollkommen tugendhafter Mensch zu sein, erhebt sie sich im Grunde auf die Ebene Gottes. In der heutigen, von Missverständnissen und vielfältigen Denkweisen geprägten Zeit hat die Suche nach der Wahrheit eine erhebliche Bedeutung. Ich habe die Wahrheit im Wort Gottes gefunden.

«In der heutigen, von Missverständnissen und vielfältigen Denkweisen geprägten Zeit hat die Suche nach der Wahrheit eine erhebliche Bedeutung.»

Was bedeutet das Wort «Hoffnung» für Sie?
Hoffnung bedeutet für mich, auf Gott zu vertrauen. Nicht zu wissen, was in Zukunft passiert, und trotzdem zu vertrauen, dass Gott es gut machen wird, egal wie es kommt. In meinem Leben gab es viele Situationen, die hoffnungslos aussahen und mir das Gefühl gaben, hilflos zu sein. Diese Situationen stellten mich vor die Wahl, den Glauben aufzugeben oder auf Jesus zu schauen und auf sein Eingreifen zu warten. Gerade in diesen Zeiten zeigte mir Gott, dass er für mich kämpft und dass meine Freiheit in seiner Hand liegt und nicht in der Hand von Menschen.

Möchten Sie wieder zurück in den Iran gehen?
Langsam ist die Schweiz zu meiner Heimat geworden und ich merke, wie ich mich in den letzten Jahren verändert habe. Ich würde zwar immer gerne zurück in den Iran gehen, aber das ist momentan nicht möglich. Auch meine Eltern sind inzwischen in die Schweiz geflohen und haben hier eine Wohnung gefunden. Ich möchte einfach Gott folgen und dahin gehen, wo er mich hinführt. Wo auch immer das sein mag.

Zur Person:

Was bringt Sie zum Lachen?
Ich finde Freude an den einfachsten Dingen und teile herzhaftes Gelächter mit anderen, ohne das Leben ernster zu nehmen, als es sien muss.

Was würde uns an Ihnen überraschen?
Ich habe mich auf eine aufregende Reise begeben und fahre Motorrad – eine Leidenschaft, die mich selbt überrascht hat. Mein treuer Begleiter auf der Strasse ist meine lebendige pinke Kawasaki 650.

Was möchten Sie gern erleben?
Ich strebe danach, den verändernden Weg von Menschen zu beobachten, wie sie eine echte, herzliche Verbindung zu Gott entdecken, frei von den Beschränkungen blosser religiöser Praxis.

Autor: Hanna Krückels
Quelle: Hope Regiozeitungen