Donnerstag, 16. Mai 2024

Heller Kopf mit Helferherz

Martin Fischer, 75 Jahre alt, wohnt in Hinwil, ist verheiratet und hat drei Kinder
Martin Fischer aus Hinwil blickt auf eine vielseitige Karriere zurück. Nicht alles lief glatt. Versöhnt leben zu können, ist ihm zum Lebensmotto geworden. Dankbar geniesst er seinen Ruhestand; die Teilnahme am Engadin Skimarathon gehört dazu.

Als ältestes von zwölf Kindern muss Martin Fischer bereits in jungen Jahren Verantwortung übernehmen. Er wächst in einer Bauernfamilie in  Bettswil / Bäretswil auf, lernt früh mitanzupacken. Schon als Bub geniesst er es, draussen zu arbeiten, die Jahreszeiten naturnah zu erleben. Wissbegierig ist er, statt  Kantonsschule ist jedoch Mithilfe auf dem Hof angesagt. Nach seiner Lehre als Elektromonteur kann Fischer seiner Berufung folgen. Er absolviert ein Studium am Theologischen Seminar St. Chrischona (tsc). «Damals rebellierten unten in Basel die 68-er Kollegen», erinnert sich Fischer. «Wir im Seminar befassten uns mit deren Manifesten und Forderungen, gespiesen aus Quellen von Lenin, Marx und Mao. Diese stellten wir biblischen Texten gegenüber.

Unser Fazit: Totalitäre, menschenverachtende Staatsformen sind zum Scheitern verurteilt.»

Natur geniessen

Nach seiner Ordination arbeitet Martin Fischer als Seelsorger im Toggenburg, dann als Jugendsekretär für die Chrischona-Gemeinden der Schweiz (heute Viva-Kirchen). Er ist zuständig für Leiterausbildung, Kurse, Jugendevents und Ferienlager. «Ich bin ein Naturmensch. Draussen ist mein Zuhause», sagt Fischer, der sich damals auch als Leiter Jugend und Sport für Bergsteigen und Skitouren ausbilden lässt. Als Tourenleiter stand er auf unzähligen 3000-ern und vielen 4000-ern der Alpen. Hochtouren unternimmt er heute kaum mehr.

Stattdessen liebt er Weitwandern, Velotouren, Langlaufen. Anfang März 2023 nahm er zum 31. Mal am Engadin Skimarathon teil. Unvergessen bleiben ihm die fröhlichen Touren mit seinen Kindern und später Enkelkindern. Ihr Skilehrer sein zu können, empfindet er noch immer als Privileg. «Und dass ich heute gesund und fit bin, ist für mich ein Geschenk des Himmels», fügt Fischer an.

«Unser Fazit: Totalitäre, menschenverachtende Staatsformen sind zum Scheitern verurteilt.»

Pionierarbeit

Nach verschiedenen Weiterbildungen, so in Management und Journalistik, ist Fischer 1982 bei ERF Medien (erf-medien.ch) verantwortlich für den Aufbau einer Fachredaktion «Glaube und Gesellschaft». Gemeinsam mit anderen Pionieren kämpft er um die Sendeplätze für private Anbieter. Das heutige Radio «Life Channel» über DAB resultiert daraus. Martin Fischer zählt auch zu den Pionieren der TV-Sendung «Fenster zum Sonntag» auf SRF 1+2. Zudem holt ihn der Bundesrat 1995 in die dafür eigens eingesetzte «Expertenkommission Religion und Fernsehen». Der Medienmann weiss: «In beiden Sendegefässen sind es bis heute vor allem Lebensgeschichten, die bewegen. Die Menschen erzählen von der Kraft der Liebe, von Versöhnung in Herausforderungen, von Krisen und Neuanfängen.»

«Ich bin ein Naturmensch. Draussen ist mein Zuhause.»

Pfarrer Siebers Werke

2005 wird Martin Fischer Gesamtleiter der Stiftung Sozialwerke Pfarrer Sieber (swsieber.ch). Damals liegen die Finanzen der Stiftung im Argen.  Reorganisation tut Not, Entlassungen sind unumgänglich. Das Vertrauen der Angestellten und Spenderinnen und Spender wiederzugewinnen, fordert immensen Einsatz. Es gilt, die Mitarbeitenden fit zu machen für den Dienst an randständigen Menschen. Fischer erinnert sich: «Für uns war klar, Gottvertrauen ist eine Sache – für die Menschen auf der Schattenseite des Lebens da zu sein und in Stadt und Kanton Zürich politisch für sie einzustehen, eine andere!» Pfarrer Ernst Sieber (* 24. Februar 1927 in Horgen; † 19. Mai 2018 in Zürich) pocht damals auf einen wertschätzenden Umgang mit allen Hilfesuchenden.

Für Sieber steht ausser Frage: «Ihr Mitarbeitenden seid Nachfolger des Jesus! Ihr seid die Hände Gottes hier und heute.» Fischer sagt: «180 Mitarbeitende in diesem Sinn und Geist zu führen, verlangte starke Teamarbeit. Das war nur möglich, weil Geschäftsleitung und Stiftungsrat auf einer Linie standen. So fanden wir wieder auf die Beine.»

«Dieses Elend hautnah mitzuerleben, hat in mir manches Mal Gefühle grosser Ohnmacht ausgelöst.»

Kein Ruhestand

Nach seiner Pensionierung 2013 wird es etwas stiller um Martin Fischer. Er engagiert sich vor allem für Kirche und Soziales, lässt sich ins Präsidium von Kirchensynode und Bezirkskirchenpflege wählen und arbeitet mit im Vorstand der Zeitung «reformiert.». Zudem steht er verschiedenen Stiftungen vor, darunter Ancora-Meilestei. Mit 70 beginnt er, sich konsequent aus diesen Verantwortungen zurückzuziehen. Durch den Ukrainekrieg kommen im Frühling 2022 auch geflüchtete Menschen nach Hinwil. In einem ökumenischen Gottesdienst bittet die zuständige Gemeinderätin eindringlich um Mithilfe. Fischer meldet sich. Plötzlich ist er wieder mittendrin, seine Erfahrung gefragt: Unterkünfte mitorganisieren, Gespräche mit Gastfamilien und
Behörden führen, Aufgaben verteilen… «Dieses Elend hautnah mitzuerleben, hat in mir manches Mal Gefühle grosser Ohnmacht ausgelöst», gesteht der Macher. Das ökumenisch organisierte Friedensgebet sei in dieser Zeit vital für ihn geworden – ein Ort, wo die Hoffnung Raum findet und genährt wird. Dass Gottes Zeitrechnung nicht mit unserer übereinstimmt, hält Fischer bis heute nicht davon ab, weiterhin zu vertrauen. «Gottes Gerechtigkeit wird siegen!», ist er überzeugt.

«Man bleibt ein Leben lang der Älteste von zwölf Kindern; in der Kindheit der Vorkämpfer und Helfer, später der Freund und fröhliche Geist.»

Nicht aufgeben

In der Rückschau auf 75 Jahre seines Lebens sagt Martin Fischer: «Ursprungsfamilie und jetzige Familie waren wohl meine grössten Lebensaufgaben, auch meine intensivsten. Man bleibt ein Leben lang der Älteste von zwölf Kindern; in der Kindheit der Vorkämpfer und Helfer, später der Freund und fröhliche Geist. Nicht alles gelang, es gab auch Enttäuschungen. Dennoch erleben wir einander heute wertschätzend und versöhnt.»

Und die jetzige Familie? Martin Fischer sagt dazu: «Ich bin sehr dankbar für meine drei Kinder. Was aus ihnen geworden ist, geht nicht auf mein Konto…drei so wunderbare Menschen nach schwierigen Jahren versöhnt mit mir unterwegs. Die plötzliche Trennung ihrer Eltern war für unsere erwachsenen Kinder ein Schock. Wir alle hatten einen langen, tränenreichen Weg zu gehen. Hilfe beanspruchen, verstehen, verarbeiten, Neuanfänge wagen, zaghaft neu geschenktes Vertrauen nicht verlieren, Versöhnung werden lassen…» Dass die elf in dieser Zeit geborenen Grosskinder einen grossen Beitrag dazu leisteten, lässt Martin Fischer heute strahlen: «Wenn sie mir und auch meiner Margrit in die Arme sprangen, waren sie für mich eine Art verlängerter Arm unseres liebenden, barmherzigen Vaters im Himmel.»

Zur Person:

Was bringt Sie zum Lachen?
Witze meiner Enkelkinder und die «Überlebensgeschichten» von mitalternden in trauter Runde.

Worüber denken Sie oft nach?
Über grosse Herausforderungen von Menschen, die mir am Herzen liegen.

Was würde uns an Ihnen überraschen?
Wenn ich Gottvertrauen, Jesus-Hoffnung und Kirche sausen liesse…

Was möchten Sie gern erleben?
Gerechtigkeit und Brot für alle! Menschen, die im Einklang mit der Schöpfung leben und ihr von Gott geschenktes Leben gestalten.

Wann geraten Sie in einen Flow?
Auf einsamen Bergtouren beim Langlaufen und beim Singen.

Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: HOPE-Regiozeitungen