«Damit Menschen nicht irre werden»
Ein älterer Patient mit einer gesundheitlich schlechten Prognose vertraut Philipp Aebi in einem Gespräch an, dass er wegen eines Erbstreits seit 30 Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Schwester pflege. Dieser legt ihm ans Herz, die vielleicht bald letzte Gelegenheit zu nutzen und sie anzurufen. Einige Tage später erzählt ihm der Mann mit leuchtenden Augen, seine Schwester habe ihn besucht und sie hätten sich im Untergrund des Spitals – wohin sie aus Versehen mit dem Lift gefahren waren – in die Arme genommen, ausgeweint und versöhnt. Wiederum ein paar Tage später stirbt der Patient.
Solche Momente mitzuerleben, sei für einen Spitalseelsorger etwas vom Schönsten und Bewegendsten, sind sich Helmut Finkel und Philipp Aebi einig. «Wenn Beziehungen wiederhergestellt werden, ist das ebenso heilsam wie eine körperliche Genesung.» Überhaupt drehe sich in ihren Gesprächen vieles um Beziehungen: die Beziehung zu sich selbst, zu Mitmenschen, zur Welt, zu Gott.
Heilsamer Humor
Ein anderes Beispiel lieferte unlängst ein Teenager, der mit seinen Eltern einen Angehörigen im Spital besuchte. Schmunzelnd erzählt Philipp Aebi, er habe ihn darauf angesprochen, ob er wisse, was ein Seelsorger sei. Postwendend habe dieser geantwortet: «Der sorgt dafür, dass die Menschen nicht irre werden.» Die Folge: Grosses Gelächter im Spitalzimmer – und durchaus auch Zustimmung vom Seelsorger selbst. Diese Anekdote veranschaulicht, dass es in den Begegnungen am Spitalbett längst nicht immer «todernst» zugeht und nur existenzielle Fragen im Zentrum stehen. «Wir erleben auch lustige Momente. Es kann vorkommen, dass ich mit dem Patienten selbst nach einem schweren Unfall darüber lache, auf welch kuriose Weise es dazu gekommen ist», erzählt Helmut Finkel.
Konfession kaum relevant
Der katholische Seelsorger mit theologischem und pflegerischem Hintergrund arbeitet seit 2019 bei der Spitäler fmi AG. Sein Kollege, der reformierte Theologe Philipp Aebi, stiess vor eineinhalb Jahren dazu, nachdem er elf Jahre in der gleichen Funktion im Luzerner Kantonsspital tätig gewesen war. Die beiden arbeiten Hand in Hand. Ihr konfessioneller Hintergrund spielt eine stark untergeordnete Rolle – sowohl für sie persönlich als auch für ihre Klienten. «Wir versuchen weltanschaulich sensibilisiert im Spital unterwegs zu sein», erklärt Philipp Aebi. So gebe es Anliegen, für die eine Begleitung mit einem spezifischen religiösen Hintergrund zwingend sei. Dafür könnten sie Personen aus anderen Religionen beiziehen. Aber das sei die Ausnahme. «Manchmal werden wir – mehr aus Neugierde – nach unserer Konfession gefragt. In der Regel sind die Menschen primär dankbar, dass jemand für sie da ist», ergänzt Helmut Finkel.
Spitalseelsorgerinnen und -seelsorger sind neben den Patienten auch für deren Angehörige sowie das Spitalpersonal da. Sie werden gerufen oder schauen von sich aus vorbei. «Die Aufgabe ist spannend, da man nie weiss, wie der Tag wird», erzählt der passionierte Unihockeyspieler Philipp Aebi. «Dazu gehört, dass wir uns aufhalten lassen, wenn irgendwo Bedarf ist, dass wir Zeit haben und zuhören, meist ohne eine Absicht zu verfolgen.»
Hoffnung statt Vertröstung
Was beschäftigt Menschen im Spital? Oft geht es in Gesprächen um die aktuelle Situation, die in vielen Fällen unvorbereitet eintritt, einen aus dem Alltag katapultiert und vieles auf den Kopf stellt. Da können Fragen aufkommen, wie es weitergeht, nach sich verändernden Lebensplänen, vielleicht nach dem nahenden Lebensende. Längst nicht immer spielt dabei der Glaube eine Rolle. «Oft sind es Gespräche von Mensch zu Mensch, unabhängig von meiner Rolle als Seelsorger, aber deshalb sind sie nicht weniger gut», sagt Helmut Finkel, der ausserhalb des Spitals auf dem Motorrad oder im Garten anzutreffen ist. Manchmal sei es der Wunsch von Patienten, über Glaubensfragen zu sprechen, zu beten oder sogar einen Ad-hoc-Gottesdienst zu feiern. Manchmal passe es in die Situation, Gott explizit ins Spiel zu bringen, ein anderes Mal nicht. Er versuche, zu spüren, was das Gegenüber im jeweiligen Moment braucht, so Philipp Aebi.
Er nimmt bei den Menschen eine Sehnsucht wahr nach etwas, was das eigene Leben übersteigt. Und so sieht er es auch als seine Aufgabe, gemeinsam mit ihnen danach Ausschau zu halten, was hält, trägt und inspiriert. «Die Bibel skizziert verschiedene Bilder dafür, dass es Hoffnung über das irdische Leben hinaus gibt, wenn sie von einer Zeit ohne Schmerz und Leid erzählt oder davon, dass das Lamm friedlich neben dem Löwen sitzt.» Dies als billige Vertröstung zu betrachten, sei ein Missverständnis. Vielmehr liege darin ein grosses Hoffnungspotenzial.
Rituale zur Verarbeitung
Beiden Seelsorgern ist wichtig, festzuhalten: «Wir haben nicht immer eine Lösung für die teils wahrhaft schwierigen, hoffnungslos scheinenden Situationen. Wir wissen manchmal auch nicht, was sich Gott dabei gedacht hat. Dann geht es darum, solche Situationen mitauszuhalten.» Persönlich beschäftige es ihn am meisten, wenn Kinder sterben, sagt Helmut Finkel. Da komme es vor, dass er mit Gott hadere. Für Philipp Aebi sind es auch Suizide. Ihm helfe es, wenn eigene Worte fehlen, sich mit einem Klagepsalm aus der Bibel an Gott zu wenden. Als weitere hilfreiche Rituale in belastenden Situationen haben sich für die beiden der Austausch untereinander und mit anderen Fachkollegen, das stille Innehalten etwa im spitaleigenen Raum der Stille und der Ausgleich durch Hobbies bewährt.
«Wir wissen manchmal auch nicht, was sich Gott dabei gedacht hat. Dann geht es darum, solche Situationen mitauszuhalten.»
Spezifische Rolle im Miteinander
Im Kanton Bern sind die Spitäler gemäss Gesundheitsversorgungsgesetz beauftragt, Seelsorge anzubieten. Philipp Aebi erlebt die Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Spitalalltag positiv. Der Beitrag der spirituellen Dimension zur Heilung eines Menschen sei neben der physischen, sozialen und psychischen breit akzeptiert. Helmut Finkel unterstreicht dies aus praktischer Erfahrung: «Menschen haben auch eine spirituelle Dimension. Immer wieder erleben wir, dass sie mit schwierigen Situationen, selbst dem Sterben, besser umgehen können, wenn sie darin Halt und Hoffnung finden.»
Autor:
Daniela Baumann
Quelle:
Hope Regiozeitung