Selbstverdammnis weicht Lebensfreude
Angies Kindheit war geprägt von Angst und Unsicherheit. In ihrer Familie fand sie nicht die nötige Stabilität, oft war sie auf der Hut vor der Tyrannei ihres schizophrenen Vaters. Als zweitältestes von vier Geschwistern übernahm sie früh Verantwortung, führte etwa als Teenager Gespräche mit Polizei und Behörden.
«Ich hatte keinen Boden unter den Füssen …»
Im freien Fall
Nach der Schule absolvierte Angie eine dreijährige KV-Lehre. Sie wollte Distanz gewinnen, zog mehrfach von zu Hause aus – und wieder dort ein; die Situation im Elternhaus war ebenso wenig auszuhalten wie die Einsamkeit in den eigenen vier Wänden. Irgendwie schaffte die junge Frau den Abschluss, doch ein gesundes Lebensfundament fehlte ihr: «Ich hatte keinen Boden unter den Füssen …» Aber sie verfolgte ein Ziel: «Ich wollte unbedingt Pflegefachfrau werden.» Auch diese Ausbildung schloss sie erfolgreich ab. Danach folgten, wie Angie sagt, «katastrophale Zeiten». Mehrere neue Jobs endeten mit Kündigungen, die Depressionen wurden stärker. Angie schien sich im freien Fall zu befinden. Mehrmonatige Klinikaufenthalte – nach einem Suizidversuch auch in der geschlossenen Abteilung – zeugen vom Ernst der Lage.
Silberstreifen am Horizont
Von 2010 bis 2011 verbrachte Angie viel Zeit in der SGM-Klinik in Langenthal. Anschliessend fand sie für einige Zeit Unterschlupf bei einer Familie und konnte wieder Kräfte sammeln. Damals begann Angie eine Kirche zu besuchen und ging dort eine Beziehung mit einem Mann ein (ihr heutiger Ehemann). Wenige Monate später war sie schwanger. «Das wurde zu meiner Rettung!», bekräftigt sie.
Auf einmal hatte Angie einen Grund zu leben, musste Verantwortung für ihr eigenes Leben und Kind übernehmen. Die Gottesdienste taten ihr gut. «In der Kirche waren viele ‹schräge Leute›, die ihr Leben nicht im Griff hatten. So fühlte ich mich nicht als Aussenseiterin.» In einem der Gottesdienste flossen bei ihr erstmals seit vielen Jahren wieder Tränen. Etwas in ihrem Innern begann sich zu lösen – doch es war ein langer Weg. Die psychischen Probleme blieben. Immer wieder waren mehrwöchige Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken nötig.
«In der Kirche waren viele ‹schräge Leute›, die ihr Leben nicht im Griff hatten. So fühlte ich mich nicht als Aussenseiterin.»
Plötzlich Boden
Für die Familie war die Situation sehr schwierig. Ihr Mann fürchtete, dass die familiäre Gemeinschaft unter der Last zerbrechen könnte. «Er hat viel durchgemacht, musste arbeiten, sich um unsere beiden Kinder kümmern, den Haushalt übernehmen – und die ständige Sorge über mich aushalten», erzählt Angie anerkennend. Oft konnte sie kaum glauben, dass er fortlaufend zu ihr stand und ihr die Treue hielt. Ein Treffen mit zwei Frauen brachte eine unerwartete Wende. Im Gespräch mit ihnen lernte Angie den christlichen Glauben als kraftvolle Realität kennen. Langsam begann sie sich für die Tatsache zu öffnen, dass Jesus nicht nur lebt, sondern sie über alles liebt. «Ich hatte immer geglaubt, irgendwelche Eigenschaften haben zu müssen.» Jetzt verstand sie: «Ich darf ‹ich› sein! Ich darf unvollkommen sein!» Irgendwann erfüllte Angie die tiefe Gewissheit, dass die Zusagen der Bibel nicht billige Sprüche sind, sondern Wirklichkeit.
Neue Lebensqualität
Es war keine blitzartige Verwandlung, eher ein Prozess von Heilung und Wiederherstellung. Er verlief zügig und gründlich – mit nachhaltiger Wirkung. Auf einmal bemerkte Angie, wie die Eifersucht und das permanente Vergleichen an Kraft verloren. Zunehmend fühlte sie sich innerlich gesättigt. Sie hatte ihren Schöpfer kennengelernt und erkannt, dass dieser gute Gedanken über ihrem Leben hat – allen Umständen zum Trotz!
«Jesus gab mir Ruhe und innere Sicherheit! Er hat alles getan, ich muss heute niemandem mehr etwas beweisen.» Früher sei nicht alles nur schwierig gewesen, präzisiert sie. Doch ihre Lebensfreude, die sie heute empfindet, hätte sie nie für möglich gehalten. Angies Mann und ihr Umfeld brauchten Zeit, um sich an die «neue Angie» zu gewöhnen. Lange stand die Frage im Raum, ob ihr Zustand anhalten würde. Das ist nun Vergangenheit. Auch wenn ihr Leben nicht immer und überall rund läuft: Seit eineinhalb Jahren hat die Mutter und Ehefrau Boden unter den Füssen. Medikamente, Mentoring und Seelsorge helfen ihr weiterhin, stabil zu bleiben, doch die Zeiten, in denen sie gegen Depressionen und Selbstverdammnis ankämpfte, sind vorbei.
«Ich bin in meinem Leben absolut zur Ruhe gekommen.»
Innere Ruhe und Freude
Angie fällt es leicht, offen über ihr Ergehen zu reden – auch über die Schwierigkeiten der vergangenen Jahrzehnte. Zu erleben, wie viele Menschen unter dem Gefühl von Sinnlosigkeit und Leere leiden, macht sie betroffen. Gerne teilt sie mit ihnen das Wertvolle, das sie gefunden hat. «Ich bin in meinem Leben absolut zur Ruhe gekommen.» Diese Ruhe und eine innere Freude strahlt Angie auch aus. Gleichzeitig hat sie Verständnis für Menschen, denen dies fremd ist. «Ich kann ihnen nachempfinden» sagt sie – im Wissen, dass die erfahrene Veränderung nicht ihr eigener Verdienst, sondern das Geschenk eines liebenden Gottes ist.
ZUR PERSON
Einer meiner Lieblingsplätze in Frutigen:
Hängebrücke Hohstalden und Bemato
Lieblingsserie oder Lieblingsbuch:
Autobiografische Dokumentationen (ich lese höchst selten ein Buch)
Meine liebste Jahreszeit:
Jede, ausser Nebel und Hochsommer. Für mich hat jede Jahreszeit ihr Lebendiges
Welche App auf deinem Mobile haben nicht alle?
PeakFinder und Swisstopo (Diese half mir schon sehr oft, den Weg zu finden)
Autor:
Markus Richner
Quelle:
Hope Regiozeitung