Schulwahl

Was traut der Staat den Eltern zu?

Die freie Schulwahl hat es schwer in der Schweiz. Die Initiative der Elternlobby Zürich für eine «freie Schulwahl für alle ab der 4. Klasse» wird von der kantonsrätlichen Kommission zur Ablehnung empfohlen.
Klassenzimmer

«Wir wollen, dass Eltern mehr Verantwortung wahrnehmen können», begründet die Elternlobby ihren Vorstoss. Nach der UN-Menschenrechtserklärung haben Eltern «ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll» (Artikel 26,3).

Die Zürcher Volksinitiative fordert zum einen die freie Schulwahl durch die Eltern ab der 4. Klasse innerhalb der öffentlichen Schule. Zum andern hätte der Staat den Unterricht an bewilligten, allgemein zugänglichen Privatschulen finanzieren. Mit einer Pauschale pro Kind in der Höhe der Durchschnittskosten der öffentlichen Schulen soll ein fairer pädagogischer Wettbewerb unter den Schulen ermöglicht und den Eltern mehr Bildungs- und Erziehungsverantwortung gegeben werden.

Volksschule «zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt»

Den Initianten bläst ein kalter Wind entgegen. Wie die Zürcher Regierung will die Kommission des Kantonsrats der Initiative keinen Gegenvorschlag beigeben – nachdem ähnliche Vorstösse in Baselland, St. Gallen und im Thurgau an der Urne eine Abfuhr erlitten haben.

Im April 2011 hatte der Kantonsrat einen Vorstoss der FDP abgelehnt, der eine Prüfung der freien Wahl wenigstens für die Sekundarstufe anregte. Die FDP blieb mit ihrem Anliegen praktisch allein. Die kantonsrätliche Kommission versteht laut der NZZ die Volksschule als zentrale Institution für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie sei kein Ort für Markt-Experimente. Die Initiative untergrabe die Integrationsfunktion der Volksschule und führe nach überwiegender Ansicht der Kommissionsmitglieder zu unerwünschter sozialer Trennung.

Breite Gegnerschaft

Gegen die freie Schulwahl sprechen die Mehrkosten – laut der Regierung 64 Millionen Franken – und praktische Probleme. Zudem fehle den Privatschulen die demokratische Abstützung, da sie nicht von gewählten Schulpflegen beaufsichtigt würden.

Ein breit abgestütztes Komitee für unsere starke Volksschule hat sich bereits gebildet. Es bezeichnet die Initiative als «Frontalangriff auf unsere Volksschule» und als Bedrohung von kleinen Landschulen.

…und die Rechte der Eltern?

Nach der Schweizer Bundesverfassung (Art. 62,2) haben die Kantone für einen ausreichenden Grundschulunterricht zu sorgen. Dieser ist «obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht». Südlich des Rheins haben konfessionelle und christliche Bekenntnis-Schulen einen schwereren Stand als in Deutschland. Die Rechte der Eltern, obwohl grundsätzlich anerkannt, werden in vielen der sich sehr freiheitlich gebenden Staaten Nord- und Westeuropas eng gefasst. Eltern, die ihre Kinder zu Hause schulen wollen, müssen hier im Gegensatz zu anderen Erdteilen hohe Hürden überwinden.

Extrem ist Schweden: Lotta Edblom, eine Politikerin der liberalen Partei, forderte am 10. Januar 2012 in einer Zeitungskolumne eine Gesetzesänderung, damit die Sozialbehörden Eltern, die sich aufs Homeschooling versteifen, Kinder leichter wegnehmen können. Die Sozialdienste sollten, schrieb Edholm in ihrem Blog, «intervenieren können, wenn Kinder von ihren Eltern von der Schule ferngehalten werden – oft aus religiösen oder ideologischen Gründen». Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist hängig.

Webseiten:
«Ja! Freie Schulwahl ab der 4. Klasse!» (Initiativkomitee/Befürworter der kantonalen Volksinitiative)
Beschluss des Kantonsrates über die kantonale Volksinitiative «Ja! Freie Schulwahl für alle ab der 4. Klasse!»
Komitee «Für unsere starke Volksschule» (Gegner der kantonalen Volksinitiative)

Datum: 20.01.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet