«Das kannten wir so noch nie!»
Assaf Zeevi, wie erleben Sie die aktuelle Lage in Israel ganz persönlich?
Assaf Zeevi: Ich strahle, denn alle noch lebenden Geiseln sind zurück. Das ist bei uns anders als in allen anderen Ländern, wir ticken da anders. Das ist unsere Stärke und Schwäche zugleich. Zum ersten Mal können wir emotional aufatmen, weil sie da sind und wir uns selbst bewiesen haben, dass wir als Gesellschaft einander festhalten und ganz Israel füreinander bürgt. Wir sind mit diesem Mythos aufgewachsen, wir sind nach dem Holocaust aus der Glut auferstanden, aus der Asche. Dafür haben wir eine Luftwaffe und eine Armee. Niemand wird im Stich gelassen, man lässt keine Verwundeten zurück.
In der «NZZ» war am Tag der Freilassung eine Kurzbiografie der über 20 Freigekommenen zu lesen. Selbst andere Länder haben das als Massstab für diese besondere Situation übernommen. Sie berichteten nicht einfach, dass 20 Geiseln freigekommen sind, sondern es wurde über jeden Einzelnen berichtet, wer Saxophon spielt, wer Klavier, wessen Tante wo wohnt – das sieht man sonst nie. Ich habe es nie für möglich gehalten: Es gab zwei Hauptziele; die Geiseln zu befreien und die Hamas zu besiegen. Man kann eigentlich nicht auf beiden Hochzeiten tanzen, das ist unmöglich. Wenn man die Hamas bekämpft, kommen die Geiseln nicht frei. Doch die Regierung hat es geschafft, Benjamin Netanjahu hat bewiesen, dass es geht. Auch als Nicht-Netanjahu-Wähler ziehe ich den Hut.
Was hören Sie aus dem Land selbst?
Euphorie. (Er zeigt ein Video). Das habe ich von einem Nachbarn bekommen, weil eine Geisel in die Strasse gekommen ist. Es ist eine Strassenparty, die Menschen tanzen, lachen und warten auf die Rückkehr der Geisel, die sich noch im Spital befindet. Aber der ganze Ort geht dahin. Gleichzeitig hat man auch noch Verständnis, da noch nicht alle zurück sind, die Hamas spielt auf Zeit und kann tatsächlich nicht alle Geiseln holen. Da will man noch solidarisch bleiben. Sie nehmen die Solidaritätszeichen nicht ab. Insgesamt sind 28 Geiseln tot, weniger als die Hälfte ist noch nicht zurück. Ein Toter ist aber nicht dasselbe wie ein Lebender.
Womit rechnen Sie nun?
Mit nichts Neuem Es ist kein Frieden, es ist ein Nicht-Krieg. Ein Nicht-Krieg ist aber immer noch viel mehr als nichts. Der Frieden mit den Palästinensern lässt noch lange auf sich warten. Wenn er aber nicht so auf Hochtouren läuft, klopfen die anderen arabischen Staaten an die Tür. Wir alle rechnen mit baldigen Breaking News, dass eine Reihe von Verträgen unterschrieben wird; ich tippe als nächstes mal auf Indonesien und Saudi-Arabien. Allein diese Woche hat jemand aus dem saudischen Königsreich gesagt: «Wir werden noch Ferienhäuser Naharija kaufen und dort zweimal im Jahr Urlaub zu machen.» Rund zehn Staaten warten im Standby.
Wie stehst du dem gegenüber?
Zunächst einmal bedeutet Indonesien, dass ich dorthin reisen kann… Bali ist schön. Wir leben in historischen Zeiten, man sieht, wie der Prozess fortschreitet. Es geht um die Akzeptanz eines nicht-muslimischen Landes in der muslimischen Region. Der Weg der Stärke war besser als der des Appeasements. Das liegt in der Natur der Region. Ein Hund, der in dieser Region die Zähne nicht zeigt, wird gebissen. Mit dem Stärksten aber will man befreundet sein. Natürlich freut es einen, wenn Stimmen aus dem Libanon sagen: «Wir sollten mit all unseren Nachbarn befreunde sein!» Denn sie haben schon mit allen Frieden, ausser mit Israel…
Selbst Dschihadisten in Syrien streben ein Sicherheitsabkommen an, doch Israel spielt auf Zeit und wartet damit. Ahmed al-Scharaa möchte ebenfalls ein Sicherheitsabkommen, in dem die Golanhöhen nicht erwähnt werden. Wer hätte das vor zwei Jahren gedacht? Es geht um einen Nicht-Angriffspakt, um einen Nicht-Krieg, um die Beendigung des Kriegs. Seit Israels Gründung wurde die Kriegserklärung nie zurückgenommen. Das sind dramatische und positive Veränderungen. Ich denke, es ist noch nicht das Finale, aber im Moment steht es 2:0; politisch und militärisch sowieso. Die Sicherheitslage war seit der Staatsgründung noch nie so gut. Wir haben uns den Feinden mutig entgegengesetzt. Nach der Niederlage vom 7. Oktober dachte man, dass das Versagen so gross war wie nie zuvor. Dann wurde das ausgeführt, was wir im Libanon und Iran gesehen haben.
Mit was rechnen Sie nun in Gaza?
Es ist nicht denkbar, dass die Hamas an der Macht bleibt, sie werden die Schlüssel abgeben. Herrschen war nie das Ziel der Hamas, sie wird Gaza verlassen nach dem Trump-Plan, der ein israelisches Papier ist, das amerikanisch verpackt. wurde Es scheint so, als wollten die Amerikaner festhalten und bleiben; eine internationale Körperschaft unter der Leitung der USA wird in Gaza sein, der Grenzübergang nach Ägypten in Rafah wird geöffnet werden. Ich kann noch nicht prognostizieren, wie viele Menschen Gaza verlassen werden, sie können frei ein- und ausreisen. Gaza wird komplett neu aufgebaut. Es könnte ein Ort werden, an dem man ganz gut leben kann. Es wird in einem viel besseren Standard aufgebaut. Die Schlüsselfrage ist, ob die Entwaffnung möglich ist, dann könnte es der letzte Gaza-Krieg gewesen sein. Die nächsten fünf Jahre werden wohl absolut ruhig sein. 20 Jahre ohne Krieg würden vielleicht eine Erziehungswende der jungen Generation ermöglichen.
… dann könnte es ein Dubai geben?
Als Israel sich 2005 zurückzog, hörte man immer wieder, dass sie Gaza bekommen und daraus ein zweites Singapur machen. Singapur ist nicht gekommen, aber Gaza. Der Weg liegt in ihrer Hand. Mit dem islamischen Dschihadismus könnte man jeden Ort zerstören. Seit Samstag vergangener Woche das Kriegsende angekündigt wurde, ist meine Mailbox in 72 Stunden explodiert. Zwei Jahre lang haben die Leute ihre Reisepläne verschoben, jetzt ist mein Kalender für 2026 und 2027 zu einem grossen Teil gefüllt. Da merkt man, dass es viel Nachholbedarf gibt, wie eine Lawine, die jetzt kommt. Ausser dem 7. Oktober und den zwölf Tagen Krieg gegen den Iran war Israel fast immer problemlos überall bereisbar. Seit November '24, als die Hisbollah ausgeschaltet wurde, hat es keine Einschränkung mehr gegeben. Trotzdem reiste fast niemand. Ich war mit Mutigen unterwegs, man konnte die besten Hotels buchen und musste nie anstehen. Doch die Leute kapieren jetzt, dass der Krieg vorbei ist. Der Iran hat eine wichtige Kehrtwende gebracht. Wir sind dazu in der Lage, damit umzugehen, wir haben die Angst verloren. Das heisst aber nicht, dass der Iran seine Vernichtungsabsichten beendet hätte. Die Frage ist, wann und in welchem Umfang. Im Moment gibt es keine existenzielle Bedrohung und das kannten wir so noch nie.
Zum Thema:
Nach Angriff durch Iran: Israel steht vor schwierigen Entscheidungen
Assaf Zeevi: «Schlimmer als unser schlimmster Albtraum»
Assaf Zeevi im Livenet-Talk: Von Verzweiflung zur Erkenntnis, dass Friede möglich ist