Bergsteiger mit Bodenhaftung
Selbst liebend gern in den Bergen unterwegs, aber leider immer wieder von Höhenangst geplagt, erlaube ich mir, Adrian Zurbrügg zunächst die Frage zu stellen: Wie macht er – der in Rekordtempo Eiger, Mönch, Jungfrau und Co. bezwingt – mir plausibel, dass er nicht lebensmüde ist? «Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich mit dem Tod bezahle, wenn Fehler passieren», nimmt er kein Blatt vor den Mund. «Aber ich kann aufgrund meiner Erfahrung objektive Gefahren wie zum Beispiel Steinschlag gut abschätzen und gehe sehr überlegt vor. Meine oberste Priorität ist immer, gesund wieder nach Hause zu kommen.» So sei er im Training nie in absturzgefährdetem Gelände unterwegs und müsse eine Tour nicht auf Biegen und Brechen durchziehen.
«Wenn Fehler passieren, bezahle ich mit dem Tod.»
Die Leistung ist sekundär
Ohnehin geht es Adrian Zurbrügg nicht um Rekorde, Ruhm und Ehre. «Ein Ziel zu haben, egal in welchem Bereich des Lebens, etwas auszuprobieren, dranzubleiben und zu schauen, was möglich ist, finde ich wichtiger als das Erreichen des Ziels an sich.» Er geniesst das Unterwegssein und die Einsamkeit in der Natur – trainiert deshalb gerne allein. Er liebt das Bergerlebnis, besondere Morgenstimmungen und Abenteuer. So kommt es, dass der Vater von zwei kleinen Kindern für sein ausserordentliches Hobby morgens um 2 Uhr aufsteht, um einen Berg zu erklimmen und anschliessend pünktlich um 8 Uhr bei einem Kunden auf der Matte zu stehen, dessen Garten er neu gestaltet. Dass er dies vollkommen aus Eigenmotivation tut, wird spätestens klar, als er anfügt: «Ich habe mich noch nie unter Druck oder gezwungen gefühlt, zu trainieren. Ich tue es nach Lust und Laune.»
«Ich habe mich noch nie unter Druck oder gezwungen gefühlt, zu trainieren. Ich tue es nach Lust und Laune.»
Kinder im Fokus
Adrian Zurbrügg ist sogar überzeugt, dass genau diese Lockerheit und Bescheidenheit ihn davor bewahren, dass es ungesund wird. Er hat deshalb auch keinen Coach und verzichtet auf jegliche Gadgets, hat oft nicht einmal eine Uhr dabei. «Wenn ich ehrgeizig würde, käme es nicht gut, dann würde ich früher oder später ausbrennen.» Er lässt sich seinen Lebensrhythmus nicht vom Sport bzw. dem Training diktieren, sondern setzt den Fokus auf die Familie. Es sei ihm wichtig, dass er auch seine Frau freisetzen könne, indem er zuhause präsent sei. Dies wie auch die Tatsache, dass er ein eigenes Gartenbaugeschäft gegründet hat, führen dazu, dass der Bergsport nicht zu wichtig wird. «Bei der Firmengründung oder der Geburt eines Kindes habe ich zeitweise fast gar keinen Sport gemacht. Auf Dauer würden mir die Berge schon fehlen, aber ich kann problemlos eine Woche Ferien mit meiner Familie verbringen, ohne Sport zu treiben.»
Beinahe abgestürzt
Dass er mit 35 Jahren bald 50-mal auf dem Eiger stand und mehrere Geschwindigkeitsrekorde hält – die sogenannte «Swiss Skyline Route» über Eiger, Mönch und Jungfrau in 3 Stunden und 8 Minuten oder die sieben höchsten Gipfel der sieben Alpenländer in 5 Tagen (bzw. 111:40 Stunden) –, kommt nicht ganz von ungefähr. Seine Eltern haben ihn schon sehr früh auf Bergtouren mitgenommen, mit acht Jahren stand er auf seinem ersten 4000er. So war das Bergsteigen für ihn von Beginn weg etwas Selbstverständliches. Zu ändern drohte sich dies für Adrian Zurbrügg bis heute nur zweimal: «Als sich mein älterer Bruder das Leben nahm, beschäftigte mich der Gedanke: Mir darf nichts passieren, damit meine Eltern nicht noch ein Kind verlieren.» Er habe gehadert, aber der enge Familienzusammenhalt, sein intaktes Umfeld und der Glaube, dass es nach dem Tod weitergehe, hätten ihm auch Hoffnung gegeben.
Ebenso wenig von seiner Leidenschaft abbringen konnte ihn das einzige Mal, als er in den Bergen fast ums Leben gekommen wäre. «Wir gerieten am Eiger in ein Gewitter und mussten in der Wand ausharren. Hätten wir uns nicht halten können, wären wir über 1000 Meter abgestürzt.» Er bezeichnet es als Wunder, dass er und sein Begleiter diese Situation heil überstanden haben. «Es hätte Schluss sein können und ich bin sehr dankbar, dass es nicht so war.» Wenn es ein Abenteuer gibt, zu dem er nein sagen würde, wäre es Höhenbergsteigen. «Dafür fehlt mir die Erfahrung. Es spielen andere Faktoren rein, man weiss zum Beispiel nicht, wie der Körper auf die Höhe reagiert. In den Alpen hingegen bringt mich nicht viel aus der Ruhe.»
«In den Alpen bringt mich nicht viel aus der Ruhe.»
Kein Leben ohne Risiko
Auf die Risiken angesprochen, die ihn auf seinen alpinen Touren in häufig ausgesetztem Gelände, bei jeder Tages- und Nachtzeit und kaum Pausen, geschweige denn Schlaf, begleiten, entgegnet der gebürtige Frutiger: «Ich bin mir bewusst, dass es weniger gefährliche Hobbys gibt. Der Bergsport hat mich aber auch sensibler gemacht für Gefahren im Alltag.» Und er stellt sogar die These auf, ein gewisses Restrisiko im Leben sei ein Grundrecht. Umgekehrt gesagt: Die Tendenz, möglichst alle Risiken zu eliminieren, hält er nicht für eine gute Entwicklung. Angesichts der Risiken hält Adrian Zurbrügg die Selbstverantwortung im Bergsport für zentral. Und er mag es auch, soweit möglich die Kontrolle zu haben. «Aber es entlastet mich zu wissen, dass Gott alles in der Hand hat – auch das, was ich nicht beeinflussen kann. Ich gebe mein Bestes, handle nach bestem Wissen und Gewissen und rechne gleichzeitig mit Gottes Schutz.» Wenn er trainingshalber stundenlang allein unterwegs ist, sind dies für Adrian Zurbrügg oft auch Zeiten, in denen er sich Gott nahe fühlt. Die überwältigende Schönheit und Stille der Bergwelt oder der Anblick eines Sonnenaufgangs mögen das ihre dazu beitragen.
«Es entlastet mich zu wissen, dass Gott alles in der Hand hat – auch das, was ich nicht beeinflussen kann.»
Eiger zum 50. Mal
Als naturverbundener Mensch stimmt es den leidenschaftlichen Bergsteiger traurig, die Gletscher wegschmelzen zu sehen. Ganz zu schweigen davon, dass die Gefahren in den Bergen durch die Klimaerwärmung zunehmen. «Es wird in den nächsten Jahren nicht einfacher werden.»
Er verspüre gegenüber dieser Entwicklung eine gewisse Ohnmacht und frage sich, wie viel er beitragen könne, sie zu bremsen. Zugleich ist er überzeugt, dass alles Mögliche dagegen unternommen werden muss.
Das nächste grosse Ziel von Adrian Zurbrügg ist seine 50. Besteigung des Eigers. Er möchte diesen Sommer auf dem Eigerplatz in Bern starten und möglichst schnell den gleichnamigen Gipfel erreichen. Ob es klappen wird? Für den bodenständigen Oberländer ist das wie immer zweitrangig. Sicher aber wird sein Dank auch an Gott gerichtet sein, wenn er einmal mehr auf dem Eiger stehen und das Panorama geniessen wird.
6000 HÖHENMETER FÜR 600 KINDER
Mit dem Projekt im Sommer 2025 verfolgt Adrian Zurbrügg nicht nur das Ziel, zum 50. Mal auf dem Eiger zu stehen. Vielmehr möchte er damit für 600 Kinder in der Kilimanjaro-Region Tansanias Zugang zu sanitären Anlagen finanzieren. Dazu bestreitet er die Strecke vom Eigerplatz in Bern auf den Gipfel des Eigers, rund 100 Kilometer und 6000 Höhenmeter, als Solo-Muskathlon in Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk Compassion. Bei den sogenannten Muskathlons der 4M Association Switzerland werden mit einer sportlichen Herausforderung zu Fuss oder mit dem Velo Spendengelder gesammelt, um einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit zu leisten. Im Fall von Adrian Zurbrüggs Projekt kann man zwar nicht selbst mitlaufen. Dennoch gibt es zwei Möglichkeiten der Unterstützung: Erstens läuft eine Challenge, um gemeinsam Kilometer zu sammeln. Egal ob Laufen, Radfahren, Schwimmen oder Wandern – jede Aktivität zählt. Der Community-Event auf Strava bietet die Möglichkeit, die eigenen sportlichen Aktivitäten per GPS zu tracken und die gesammelten Kilometer beizusteuern. Gemeinsam soll die symbolische Marke von 18‘000 Kilometern erreicht werden. Zweitens werden für die Toiletten für 600 Kinder Fr. 18‘000.– benötigt und auch hier gilt: Jede Spende zählt.
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