Glücklich arbeiten anstatt auszubrennen

Claas Lahmann
«Die Arbeit hat mich krank gemacht» – diesen Satz hört der Psychotherapeut Prof. Claas Lahmann häufig. Er erklärt, wie Arbeit gesund gelebt werden kann – und wann es sinnvoll ist, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen.

Professor Lahmann, welche Faktoren tragen dazu bei, dass Menschen Glück und Sinn in ihrer Arbeit finden?
Prof. Claas Lahmann: 
Es beginnt damit, dass sich die Menschen am Arbeitsplatz gesehen und wertgeschätzt fühlen. Mitarbeiter fühlen sich gesehen, wenn ihre Führungskraft sie kennt. Das muss nicht tiefgehend sein, aber echtes Interesse macht viel aus. Auch kleine Rückmeldungen helfen. Sinnhaftigkeit und Transparenz spielen ebenfalls eine grosse Rolle. Wenn klar ist, warum eine Aufgabe sinnvoll und wichtig ist, steigt die Motivation. Viele wissen gar nicht, welchen Beitrag sie im grossen Ganzen leisten. Ein weiterer Faktor ist die Verlässlichkeit. Heisst: Die Bedingungen sollten berechenbar sein. Manche Leute kommen mit einem raueren Klima klar – solange es konstant ist. Wenn es sich allerdings ständig ändert, stresst das die Menschen enorm.

Gibt es Warnzeichen, die auf eine zu hohe Belastung hinweisen?
Es gibt einige Frühwarnzeichen. Dazu gehören Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, Stimmungsveränderungen und sozialer Rückzug. Süchtiges Verhalten gehört auch dazu. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass man mehr trinkt oder raucht oder vielleicht sogar wieder damit anfängt. Natürlich gibt es auch andere Gründe für diese Beschwerden – das sehen wir in der Praxis immer wieder. Wenn aber das Bauchgefühl klar sagt: «Das kommt hauptsächlich vom Job», dann sollte man hinhören und das ernst nehmen.

Welche Verhaltensweisen halten Menschen davon ab, ihre Arbeitssituation zu verbessern?
Das wird in der Psychologie als «erlernte Hilflosigkeit» bezeichnet. Wenn Menschen über längere Zeit das Gefühl haben, dass sie nichts verändern können, entsteht eine gleichgültige Haltung. Das kann dann zu einer Frustration oder Abstumpfung führen. Uns Männern wird häufig nachgesagt, dass wir nicht so gut auf uns selbst achten, nicht so sehr auf unsere Gefühle hören. Aber wer sich regelmässig fragt, wo gerade die innere Ampel steht, kann da frühzeitig gegensteuern. Alternativ lässt sich das spielerisch angehen – wie mit einem inneren Wetterbericht: Wie ist das Wetter in mir heute? Zieht eine Regenfront auf? Wer lernt, sich selbst wahrzunehmen, erkennt Belastungen früher und kann besser darauf reagieren.

Bleiben wir in dem Wetterbild: Wenn sich die Arbeit dauerhaft wie drückende, schwüle Luft anfühlt – was raten Sie der betroffenen Person, die nicht sofort kündigen kann?
Diese Frage wird mir sehr häufig gestellt. Diese Menschen erleben eine festgefahrene Situation. Sie sehen zwar, dass ihre Arbeit sie belastet, haben aber das Gefühl, kaum Handlungsspielraum zu haben. Häufig stehen praktische Gründe im Vordergrund: Sie brauchen das Einkommen, können nicht einfach umziehen, leben vielleicht in einer strukturschwachen Region oder haben familiäre Verpflichtungen. In solchen Situationen arbeite ich mit verschiedenen Ansätzen. Einer davon ist, gemeinsam mit den Betroffenen differenziert zu schauen, wie viel von dem erlebten Stress tatsächlich vom Arbeitsplatz ausgeht – und wie viel sie selbst mitbringen. Wir haben mittlerweile Sprechstunden eingerichtet, über die Firmen ihren Mitarbeitenden schneller psychotherapeutische Unterstützung ermöglichen können. Es kam bereits vor, dass ich mehrere Mitarbeitende aus derselben Firma begleitet habe. Dabei war eine Person stressfrei, während die andere mit identischen Aufgaben deutlich überlastet und gestresst war. Da wurde mir klar, wie stark die persönliche Haltung und der Umgang mit Belastung eine Rolle spielen. Es gibt allerdings Arbeitsplätze, die ganz klar gesundheitsschädigend sind.

In welchen Fällen raten Sie, den Job zu kündigen?
Ob man bleiben sollte oder nicht, hängt stark vom eigenen Empfinden ab – davon, wie belastbar man sich selbst einschätzt. Ein klares Warnsignal ist, wenn man den Eindruck hat, dass eine vorgesetzte Person gezielt schikaniert. Es gibt leider toxische Führungskräfte, die andere kleinmachen, um sich selbst zu erhöhen. Weitere Dinge sind Beschimpfungen und auch körperliche Gewalt. In solchen Fällen spreche ich mit den Betroffenen offen darüber, warum sie sich das noch antun. Es gibt Fälle, in denen ein Wechsel nicht sofort möglich ist. Dann arbeite ich mit ihnen daran, wie sie sich vorübergehend stabilisieren und schützen können, bis sich eine Alternative ergibt.

Spielt der persönliche Glaube eine Rolle, wenn es darum geht, gesund und zufrieden im Arbeitsleben zu bleiben?
Ja, auf jeden Fall. Wenn man es etwas abstrakter betrachtet, spielt ein stabiles Wertesystem eine grosse Rolle. Menschen, die so ein inneres Koordinatensystem haben, sind insgesamt zufriedener – das wissen wir aus der Palliativmedizin, aus der Psychotherapie und auch aus der Arbeitspsychologie. Dieses Wertesystem kann unterschiedlich aussehen: Für manche ist es religiös geprägt, für andere eher spirituell oder philosophisch. Aber wer solche inneren Fixpunkte hat, kann mit Belastungen oft besser umgehen und zeigt mehr Resilienz. Vor Kurzem war ich beim Verband evangelischer Kindertagesstätten in Bayern. Dort habe ich sofort gemerkt: Hier ist etwas anders. Ich spürte die Grundhaltung und Werteorientierung. Es war beeindruckend, wie sehr das die Atmosphäre prägte. Das war für mich ein spannender Kontrast zu anderen grossen Arbeitgebern, beispielsweise im Gesundheitswesen, und hat mich sehr beeindruckt.

Prof. Dr. med. Claas Lahmann ist ärztlicher Direktor der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Neben seiner klinischen Arbeit forscht er zu stressbedingten Erkrankungen und somatoformen Störungen. Er hat ein Buch mit dem Titel «Wie Arbeit glücklich macht» (Rowohlt Verlag) geschrieben. Interessiert an mehr solcher Impulse von MOVO? Gönne dir oder Freunden jetzt einen günstigen Jahresabogutschein des Magazins hier.

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Autor: Tim Bergen
Quelle: Magazin MOVO 03/2025, SCM Bundes-Verlag

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