England: Massive ethische Verschiebungen
Abtreibungen waren in England und Wales bisher illegal, blieben aber straffrei, wenn der Eingriff innerhalb der ersten 24 Schwangerschaftswochen stattfand und zwei Ärzte zustimmten. Nach dieser Frist waren Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen möglich, aber generell – sogar mit Gefängnis – strafbar.
«Selbstbestimmung» am Anfang…
Damit ist nun Schluss. Eine Mehrheit von 379 Stimmen bejahte eine Reform des Abtreibungsgesetzes, die die Abtreibung bis zur Geburt grundsätzlich straffrei macht. Die 24-Wochen-Frist soll weiterhin bestehen bleiben, genauso wie die Pflicht, die Zustimmung zweier Ärzte vorzuweisen. Aber Schwangerschaftsabbrüche werden für die Schwangere bis zum Einsetzen der Wehen «entkriminalisiert». Die ärztliche Unterstützung von Abtreibungen nach der 24. Schwangerschaftswoche bleibt allerdings strafbar.
Ein weiterer Antrag, der Abtreibung als «Menschenrecht» deklarieren sollte, wurde abgelehnt. Ebenso fand der Vorschlag, eine verpflichtende Beratung für medikamentöse Abtreibungen bis zur zehnten Woche einzuführen, keine Mehrheit.
… und am Ende des Lebens
Gleichzeitig haben die Befürworter der Sterbehilfe im Vereinigten Königreich am 20. Juni erreicht, dass im Parlament ein Gesetzentwurf zur Legalisierung der Sterbehilfe angenommen wurde. Der umstrittene Entwurf «Terminally Ill Adults (End of Life) Bill» (frei übersetzt: Gesetz für unheilbar kranke Erwachsene) wurde mit knapper Mehrheit angenommen. 314 Abgeordnete stimmten für den Gesetzentwurf, 291 dagegen.
Das Gesetz sieht vor, dass unheilbar kranke Menschen mit einer Lebenserwartung von sechs Monaten oder weniger, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, Sterbehilfe beantragen können. Nachdem sie zwei Erklärungen abgegeben haben, in denen sie ihren «klaren und bewussten» Willen bekundet haben, müssen sie die Unterstützung von zwei Ärzten einholen, die bestätigen, dass sie die Voraussetzungen für einen Todeswunsch erfüllen und dass sie nicht zu der Entscheidung gezwungen worden sind.
Der Fall wird dann an einen Psychiater, einen Sozialarbeiter und einen Anwalt weitergeleitet. Wird der Antrag genehmigt, hat die Person eine letzte «Bedenkzeit» von 48 Stunden bis 14 Tagen, bevor die Sterbehilfe gewährt werden kann. Die Debatte geht nun an das Oberhaus, das House of Lords, wo sie drei bis vier Monate lang analysiert werden könnte.
Die Frage des assistierten Suizids hat seit zehn Jahren eine intensive Debatte in Gesellschaft und Kirchen ausgelöst. Die endgültige Verabschiedung des Gesetzes wird sowohl von seinen Gegnern als auch von seinen Befürwortern – aus entgegengesetzten Gründen – als historischer Wandel in Bezug auf die Würde des menschlichen Lebens gesehen.
«Absolut verheerende Abstimmung»
Danny Webster vom Advocacy Team der Evangelischen Allianz UK erklärte, die Entscheidung sei eine «absolut verheerende Abstimmung über den assistierten Suizid». Die Abgeordneten hätten es versäumt, eine «gefährliche, undurchführbare und unmoralische Politik zu stoppen. Dieses Gesetz untergräbt den Wert des Lebens und setzt schutzbedürftige Menschen einem noch grösseren Risiko aus», so Webster.
Die Evangelische Allianz hat wiederholt ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Politiker nicht «auf den Chor der Bedenken gehört haben, die über alle politischen Grenzen hinweg von Experten in allen relevanten Bereichen geäussert wurden, dass dieses Gesetz nicht verabschiedet werden sollte». Zu den Stimmen, die sich deutlich gegen den Gesetzesentwurf gewandt hatten, gehören das Royal College of Physicians und das Royal College of Psychiatrists sowie Verbände von Menschen mit Behinderungen.
«Sozialvertrag ist zerrissen worden»
Peter Lynas, Leiter der Evangelischen Allianz UK, stellte fest, dass die Abstimmung über den assistierten Suizid und die Zustimmung zur Entkriminalisierung der Abtreibung nur zwei Tage zuvor in weiten Teilen der Bevölkerung grosse Traurigkeit ausgelöst habe. «Der Gesellschaftsvertrag ist diese Woche zerrissen worden», so Lynas in den sozialen Medien. «Der Staat kann jetzt helfen, dich zu töten, wenn du zu alt bist, und wird dich nicht schützen, wenn du jung bist. Eine düstere Woche in Westminster über Abtreibung und Sterbehilfe.»
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