Räuberleiter fürs Leben

Bild der Räuberleiter in der Nachbarschaft der Quellenhof-Stiftung
Die Perlen entdecken, die in ihren Klientinnen und Klienten und Mitmenschen verborgen sind. Das ist das Ziel der Quellenhof-Stiftung in Winterthur. Menschen sollen Heimat finden, ganzheitlich gesunden, ihre Talente ausleben und Gottes Liebe erfahren.

«Es darf nicht sein, dass jemand aufgrund seiner Drogensucht vor unserer Tür stirbt», bekräftigt Marcel Spiess, Co-Geschäftsführer der Quellenhof-Stiftung in Winterthur. Diese kümmert sich seit über 30 Jahren um Menschen am Rande der Gesellschaft. Begonnen hat alles im Drogenelend der 90er-Jahre, mit der Beratung und Reintegration drogensüchtiger Menschen.

Allen Generationen dienen

Inzwischen betreibt die Stiftung Werkstätten mit IV-Arbeitsplätzen, bietet Jobcoaching, betreutes Wohnen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, Therapie für solche mit Suchterkrankung, Lehrstellen und Wohngruppen für Jugendliche und seit fünf Jahren die Siedlung Townvillage mit Fokus auf Seniorinnen und Senioren. «Wir reagieren auf die Bedürfnisse, die sich quer durch die Generationen zeigen», ergänzt Joe Leemann, Stellenpartner von Marcel Spiess. Der hält fest: «Das macht unsere Arbeit herausfordernd und komplex, doch die Vielschichtigkeit ist spannend.»

Heilsame Verbindungen

Als Joe Leemann vor acht Jahren seine Arbeit aufnahm, startete er mit einem Praktikum in der Suchttherapie. Er erzählt von einer jungen Frau, die er damals kennenlernte: «Sie befand sich in desolatem Zustand, hatte Missbrauch erfahren und war medikamentenabhängig.» Im Lauf der Therapie habe die Frau eine Anlehre und EFZ-Ausbildung absolviert. Heute sei sie im ersten Arbeitsmarkt integriert und wohne selbstständig. «Solche Leuchtturm-Geschichten sind grossartig», freut sich Leemann. «Leider läuft das nicht immer so, aber es motiviert uns sehr, wenn wir sehen, dass ein Leben in Bewegung gerät.» Es gelte stets, Menschen barmherzig und in Liebe zu begegnen. Marcel Spiess erlebte unzählige Male, «dass mit der Zeit ein heilsamer Kontakt entsteht zwischen Menschen und Gott». Ankommen können, wertgeschätzt werden – das tue allen gut.

«Wir reagieren auf die Bedürfnisse, die sich quer durch die Generationen zeigen.»

Einander erhöhen

«Gemeinsam in einem kreativen Prozess zu arbeiten, ermöglicht ein anderes Lernen», ist Marcel Spiess überzeugt. «Es liegt eine grosse Chance darin, die Gaben zu teilen, die Gott uns geschenkt hat.» In diesem Beispiel bringt Marcel Spiess sein Talent beim Malen mit suchtkranken Menschen ein. «Manche verfügen über enorme Begabungen, sie sind einfach verschüttet», fügt er an. Im Austausch über den Ursprung von Abhängigkeit sei die Idee für das Bild einer Räuberleiter entstanden. «Genau so begegnet Gott jedem Menschen – er bietet seine Hilfe an», erklärt Spiess. In Gemeinschaftsarbeit wurde das Bild farbenfroh auf eine Hausfassade an der Sulzerallee in Winterthur übertragen, der Nachbarschaft der Quellenhof-Stiftung. An einer anderen Wand prangt ein riesiges, etwa 400 m² grosses «Yes», das ältere Menschen aus dem Townvillage und aus dem Quartier erstellt haben.

«Alle sind bedürftig, alle haben etwas zu geben. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich jede und jeder einbringt.»

Schätze heben

Jemandem zu helfen, Schwierigkeiten zu überwinden und im Leben ein Stück weiterzukommen – das sei Ausdruck von Liebe, sagt Joe Leemann. Er fährt fort: «In jedem Menschen stecken Ressourcen, ob sichtbar oder nicht. Alle sind bedürftig, alle haben etwas zu geben. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich jede und jeder einbringt.» Gott zeige Grösse, indem er nicht vor allem mit Schönen und Reichen arbeite, sondern die einfachen Leute befähige, unterstreicht er. Perlentauchern gleich behalten die Mitarbeitenden der Quellenhof-Stiftung verborgene Schätze – die Talente ihrer Klientinnen und Klienten – im Fokus. Joe Leemann lächelt und sagt abschliessend: «Wenn wir sie entdecken, ist das sehr erfüllend!»

Joe Leemann und Marcel Spiess

Fragen an Joe und Marcel:

Worüber denken Sie oft nach?
Joe: Wie werde ich meine Handlungen, Entscheide und Einstellungen in 20 Jahren bewerten?
Marcel: Ich trage sehr viele Ideen in mir und denke oft über inspirierende und kreative Prozesse nach.

Wann geraten Sie in einen Flow?
Joe: Wenn ich Teil eines schlagkräftigen Teams bin, das gerade grössere Probleme anpackt und löst.
Marcel: Sicher beim Musik machen oder bei anderen, vor allem experimentellen kreativen Prozessen. Aber auch in richtig guter Gemeinschaft.

Was möchten Sie gern erleben?
Joe: Ein Golf-Handicap unter 10.
Marcel: Einen neuen Aufbruch der sozialen und kirchlichen Werke in der Schweiz.