Eine «Liechtig» in der Dunkelheit
Vor rund vier Jahren als Wohngemeinschaft im Gächlinger Pfarrhaus gestartet, hatten die jungen Bewohnerinnen und Bewohner von Beginn an den Wunsch nach mehr als bloss eine Wohnung zu teilen, um Geld zu sparen. «Wir wollten ein verbindlicheres Miteinander pflegen und haben deshalb diesen Sommer den Schritt von einer Wohngemeinschaft zu einer Kommunität gemacht», erzählt deren Leiter Sebastian Ebi. Dazu gehörte, dass sie sich fundiert Gedanken machten, was ihnen je individuell wichtig ist und was sie als Gemeinschaft sein wollen. «Es war ein langer Weg, zu definieren, wie wir gemeinsam längerfristig unterwegs sein möchten. In diesem Prozess gab es auch Wechsel – für einzelne wurde es zu verbindlich, für andere war genau dies attraktiv.»
«Es war ein langer Weg, zu definieren, wie wir gemeinsam längerfristig unterwegs sein möchten.»
Wo das Licht einfällt
Davon, dass es den fünf jungen Menschen im Alter von 21 bis 36, die aktuell Teil der Gemeinschaft sind, ernst ist, zeugt auch ein umfangreiches Dokument, «Kodex» genannt. Von der Vision über Grundlagen des Zusammenlebens und organisatorische Belange bis zum Commitment hält es all ihre Überlegungen und Abmachungen schriftlich fest. Teil der Vision ist, dass die Mitglieder füreinander da sind, aber auch ein offenes Haus für Gäste haben. «Wir wollen ein Ort sein, wo Menschen kommen, sich selbst sein und sich erholen können», formuliert Matthias Niklaus ein für ihn zentrales Anliegen.
«Wir wollen ein Ort sein, wo Menschen kommen, sich selbst sein und sich erholen können.»
Dies kommt im Namen der Kommunität zum Ausdruck: «Liechtig» ist Schweizerdeutsch für «Lichtung». Zoé Werner erklärt dazu: «Damit bekunden wir unseren Wunsch, einen Ort des Lichts mitten im dunklen Wald zu bieten, füreinander und für andere Menschen ein Licht zu sein.
Das heisst konkret, einander zu unterstützen, Mut zu machen, Halt und Hoffnung zu geben, wenn jemand in einer schwierigen Lebenssituation steckt oder einfach einen schlechten Tag hatte. «Vieles an Gemeinschaft passiert spontan: Man kommt nach Hause, trifft im Gang jemanden an und schon ist man im Gespräch.»
Sagen, was man denkt
Entscheidungen, welche die Kommunität als Ganzes betreffen, werden demokratisch gefällt; das kann manchmal ein längerer Prozess sein. «Wir geben allen Meinungen Raum, nehmen alle Anliegen ernst und hören aufeinander. So haben wir bis jetzt immer zu einer Entscheidung gefunden, die für alle passt», erzählt Zoé. Überhaupt sei die Kommunikation untereinander das A und O. Man müsse lernen, ehrlich zu sagen, was man denkt, ergänzt Sebastian. Um das gemeinsame Leben zu finanzieren, bezahlt jedes Mitglied einen individuell abgestimmten Beitrag. «Auf diese Weise möchten wir auch Menschen, die nicht viel Geld haben, ermöglichen, Teil der Gemeinschaft zu werden», erklärt Matthias.
Die Tür ist offen
Denkt man beim Blick von aussen auf eine Gruppe von Menschen, die so viel miteinander teilt, schnell an etwas Geschlossenes oder sich Abgrenzendes, trifft dies auf die Kommunität Liechtig ganz sicher nicht zu. «Bei uns sind alle Türen offen», sagt Sebastian lachend. Das ist durchaus ernst gemeint, denn bis auf interne Sitzungen stehen alle Gemeinschaftsanlässe allen Interessierten offen. So lädt die Kommunität zum Beispiel zu Filmabenden oder gemeinsamen Essen ein, bietet Menschen in einer Not- oder Übergangssituation vorübergehend ein Zimmer an. Diese Möglichkeit soll in Zukunft wortwörtlich mehr Raum einnehmen, derzeit sind die Platzkapazitäten beim Pfarrhaus noch beschränkt. Ebenfalls Gemeinschaftsluft schnuppern kann man, indem man an der «Sonntags-Kultur» der Kommunität teilnimmt – dem gemeinsamen Frühstück und einem einfachen Gottesdienst. Die Kommunität nimmt aber auch am Leben der reformierten Kirchgemeinde in Gächlingen teil. «Wir wollen uns nicht separieren, sind nicht eine eigene Kirche. Deshalb ist uns der Kontakt zur lokalen Kirchgemeinde hier wichtig», so Sebastian.
Verpflichtung für ein Jahr
Apropos Kirche: Die Kommunität Liechtig ist Teil der Jungen Kirche Klettgau, einem Verband von Jugendarbeiten verschiedener evangelischer Kirchgemeinden der Region. Alle Kommunitätsmitglieder – Zoé, Sebastian, Matthias, Flavia und Samuel – engagieren sich in leitender Funktion in der Jungen Kirche. Die Gäste, die in der Kommunität im Pfarrhaus regelmässig ein- und ausgehen, sind meist bekannte Gesichter. Aber die offenen Türen gelten für alle, die vorbeischauen möchten.
Um nach aussen so offen sein und Wirkung entfalten zu können, brauchen die Kommunitätsmitglieder eine klar definierte gemeinsame Grundlage. Sie nennen es «den kleinsten gemeinsamen Nenner», ihr Commitment, zu dem sie sich jeweils für ein Jahr verpflichten. Darin kommt etwa ihr Glaube an Jesus Christus zum Ausdruck, ebenso wie ihr daraus abgeleitetes Bestreben, ihren Mitmenschen mit Toleranz, Respekt und echtem Interesse zu begegnen. «Wir sehen Gemeinschaft als etwas, wozu wir als Christen berufen sind», sagt Sebastian. Die Befristung des Commitments bringt zum Ausdruck, dass «es auch völlig ok ist, wenn eine Lebensphase kommt, in der es für jemanden nicht mehr passt».
Jede Menge Einsamkeit
Durch ihre Tätigkeit in der kirchlichen Jugendarbeit sind die fünf am Puls der Jugendlichen von heute. So bekommen sie mit, wie verbreitet in dieser Generation Einsamkeit und Leistungsdruck sind. «Die heutigen Jungen stehen viel grösseren Herausforderungen gegenüber als wir in unserer Jugend», stellt Matthias fest. Sebastian pflichtet ihm bei; er sieht gerade auch bei den Jugendlichen jede Menge Einsamkeit. So verbinden sie mit ihrem Lebensstil der gelebten Nächstenliebe die Hoffnung, anderen Menschen zu vermitteln, dass sie gesehen werden und unabhängig einer Leistung Wert in sich tragen.