«Hilfe anzunehmen, ist keine Schande»
«Als ich einen Liegestuhl zusammenlegte, knackste es leicht in meinem Rücken», erzählt Ursula Fröhlich aus Herisau. Es geschah während der Sommerferien im Tessin – Ursula musste in gebückter Stellung ausharren. Im Laufe der Nacht entwickelten sich unerträgliche Schmerzen, so dass ihre Freundin sie am folgenden Tag in die Notaufnahme des Spitals in Lugano brachte. Dort wurde Ursula mit starken Medikamenten behandelt, damit sie in der Lage war, die Heimreise anzutreten. Wieder zu Hause schluckte die 62-Jährige weiterhin die verschriebenen Schmerztabletten. Obwohl sie immer müde war, konnte sie höchstens drei Stunden am Stück schlafen, dann weckten Schmerzen sie wieder auf. Ihr reicher Schatz an geistlichen Liedtexten half Ursula in diesen langen Wachzeiten. Kirchenlieder wie «In dir ist Freude, in allem Leide, du mein lieber Jesus Christ» bekamen eine neue Bedeutung. Oder sie stand auf, sagte innerlich beim Einatmen «Jesus …» und beim Ausatmen «… erbarme dich!». So fand sie immer wieder zur Ruhe – und für einige weitere Stunden Schlaf.
Freunde sind da
«Meine Familie und meine Freunde standen mir zur Seite – sie waren mein Netz, das mich trug», hält Ursula fest. Nun zeigte sich die Kraft der Freundschaft. «Ich weiss nicht, wie ich diese Zeit ohne sie und Gottes Hilfe durchgestanden hätte.» Viele beteten für Ursula, brachten mit ihr zusammen die Not vor Gott. Ursula erinnerte sich an eine Geschichte, die Jesus seinen Nachfolgern erzählte (nachzulesen im Markus-Evangelium, Kapitel 2, Verse 4–5). Sie wollten ihren gelähmten Freund zu Jesus bringen. Weil das Haus, in dem er zu den Menschen sprach, rappelvoll war, stiegen sie mit ihm aufs flache Dach. Sie schlugen ein Loch in die Decke und seilten ihren Freund samt seiner Matte ab – direkt vor die Füsse von Jesus. Dieser heilte ihn umgehend. «Mir kam es vor, als ob meine Freunde mich als Gelähmte in ihren Gebeten vor Gott brachten», erinnert sich Ursula. Nach wie vor fand sie Zuversicht und Kraft in alten und neuen geistlichen Liedern sowie Psalmen. Als sich im Bein Lähmungserscheinungen zeigten, wurde eine Operation empfohlen. Diese liegt nun drei Monate zurück, die rasenden Schmerzen ist Ursula los, es sind keine Schmerzmittel mehr nötig. Sie weiss, dass es lang dauern kann, bis sich der betroffene Nerv erholt hat und keine Symptome mehr zu spüren sind. Aber sie ist sehr dankbar für die geglückte Operation und hat nun gute Chancen auf vollständige Genesung.
Zwei statt eins
«Ich bin ein Überraschungskind», verrät die fröhliche Frau und lacht. Bei ihrer Geburt im Spital Winterthur hatte der Arzt gerufen: «Oh, da kommt noch eines …» Niemand hatte in den 60-er Jahren bemerkt, dass ihre Mutter Zwillinge erwartete. Der Bruder wog 2500, sie 1900 Gramm. Das Mädchen wurde sofort nach Zürich auf die Säuglingsabteilung der Privatklinik Bethanien gebracht. «Dort wurde ich in eine Isolette gelegt und von Diakonissen liebevoll aufgepäppelt.» Ursulas Mutter war stark herausgefordert mit der Pflege und Versorgung einer Dreijährigen und einem Zwillingspärchen. «Mein Vater half, wo er konnte, aber es war eine sehr anstrengende Zeit für meine Eltern», weiss Ursula.
«Es ist Jesus, der das bewirkt.»
Ausstrahlung und Einladung
Die beiden Kleinen entwickelten sich gut, sie gingen bis zur Matura in die gleiche Klasse. «Mein Bruder passte auf mich auf, ich war manchmal ziemlich eigensinnig …», erinnert sich die Zwillingsschwester und schmunzelt. Beide engagierten sich in der Jungschar. In einem Ausbildungskurs lernte sie Gitti kennen. Deren besondere Ausstrahlung weckte Ursulas Neugierde. «Es ist Jesus, der das bewirkt», erklärte Gitti schlicht. «Das möchte ich auch!», fand Ursula und fragte, was sie dafür tun müsse. «Du kannst zu Jesus beten und ihn in dein Leben einladen – dann bist du ein Kind Gottes», erklärte Gitti. Noch am gleichen Tag setzte Ursula dies um. Seither ist sie begeisterte Jesus-Nachfolgerin, pflegt eine tiefe Freundschaft mit ihm und erfährt so immer wieder Freude und Kraft.
Beruf des Herzens
Die Frage in einer Zeitschrift «Was würdest du tun, wenn du nur noch ein Jahr zu leben hättest?» wühlte die damals 17-Jährige auf. Anstatt Lehrerin zu werden, wollte sie ihr Leben dafür einsetzen, anderen Menschen von der guten Nachricht zu erzählen, die ihr Leben so reich machte. Als Sozialdiakonin bekam sie die Möglichkeit, Religionsunterricht zu erteilen und später auch Gottesdienste zu halten. Bereits als junge Erwachsene lernte sie Roman kennen und lieben. Nach der Hochzeit 1988 gründeten sie eine Familie, Ursula wurde Hausfrau und Mutter. Sie lebten in Chur, wo sie sich in der Alkohol- und Suchtberatungsstelle Blaues Kreuz Graubünden engagierten.
Lesen, schreiben, rechnen – beten
Von einem südafrikanischen Freund hörte das Paar von einer Schule, in der mit einem christlichen Ansatz unterrichtet wird. Das faszinierte die beiden und sie suchten nach Möglichkeiten, ihre Kinder hierzulande so zu schulen. Es würde ihr Leben gewaltig umkrempeln … doch das war es ihnen wert. Sie wollten ihre Kinder so prägen, dass sie Jesus Christus kennenlernen und ihn im Alltag erleben können. Auch die Schule sollte dazu beitragen. In dieser Zeit lag einmal ein Couvert mit 5000 Franken im Briefkasten – anonym – einfach so. «Das war für uns eine der Bestätigungen von Gott, auf diesem Weg weiterzugehen», betont Ursula. Ihr Mann kündigte, die Familie zog nach Herisau, wo das Elternpaar bald mithalf, die christliche Schule Kaleb (heute Visionja) zu unterstützen. Roman fand eine Stelle im Bankwesen, konnte nun die Familie finanzieren und dazu ins Herzensprojekt für seine Kinder investieren. «Wir erlebten als Schule dabei immer wieder grosse Unterstützung, bekamen ausrangierte PCs geschenkt, von anderer Seite Wandtafeln.» Während zehn Jahren engagierte sich das Paar hier, dann schloss es diese intensive Phase ab. Die Schule besteht weiterhin. Ursulas und Romans Kinder fanden gut den Anschluss an weiterführenden Schulen und ins Berufsleben.
Lieder sind ein Schatz
Ursula wurde von den reformierten Kirchen Herisau und danach Appenzell angestellt. Sie erteilte 13 Jahre lang Religionsunterricht und durfte als Prädikantin auch predigen. «Ich habe viel mit den Kindern gesungen – ich erlebe ja selbst, was für ein Schatz geistliche Lieder sind. Sie begleiten einen durchs ganze Leben – auch im Sterben.» Sie schrieb für die Kinder immer wieder Mutmach-Lieder, die zu Hits wurden.
Keine Angst vor dem Alter
Heute engagiert sich die vielfältig engagierte Frau mit einem Teilzeitpensum in der Seniorenarbeit 60+. «Ich bin selbst nicht mehr ganz jung, der Wechsel zu älteren Menschen passte», findet Ursula. Sie pflegt sehr gern Freundschaften, singt, spielt Klavier, komponiert und textet, malt und fotografiert. Im Lauf des Lebens hatte sie etliche Krankheiten und Knochenbrüche durchzustehen. «Ich musste Schmerzen ertragen und habe manche Träne vergossen. Ich lernte, ein Ja zu meiner Lebensgeschichte zu finden», erklärt sie offen und fügt an: «Hilfe anzunehmen ist keine Schande.» Ursula ist eine Frau mit positiver Einstellung, sie weiss: «Womit ich mich beschäftige, das prägt mich.» Sie zitiert ihr Lieblingsweihnachtslied: «Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Welt ging verloren, Christ ist geboren – freue dich, freue dich, oh Christenheit.» Bereits in ihrem Namen trägt Familie Fröhlich die Überzeugung: «Gott hat die Welt nicht aufgegeben!»
«Ich lernte, ein Ja zu meiner Lebensgeschichte zu finden.»
ZUR PERSON
Einer meiner Lieblingsplätze in Herisau:
Aussichtspunkt Lutzenland mit der traumhaften Aussicht bis Bodensee, Säntis – und weit weg die «Rote Wand».
Was würde uns an Ihnen überraschen?
Ich liebe es, zu Hause Fussball zu schauen, vor allem Spiele des FC St. Gallen und der CH-Nati.
Was möchten Sie gern erleben?
Mitsingen im Oratorium «Messias» von Georg Friedrich Händel
Heimlich altern oder riesige Geburtstagsparty?
Ich werde fast immer gern älter, möchte nicht mehr zurück (sonst hätte ich keine so herrlichen Enkelinnen). Und: Mit meiner Haarfarbe ist heimliches Altern gar nicht möglich.