Pfingstgemeinden sind grösste deutsche Freikirche
Nachdem der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) am 23. September auf seiner Bundeskonferenz neue Zahlen vorstellte, titelte das evangelische Nachrichtenmagazin Idea: «Pfingstler sind erstmals grösste Freikirche in Deutschland». Natürlich bilden Zahlen nur einen Teil der Wirklichkeit ab, doch in Zeiten schrumpfender Gottesdienste und von Austrittswellen aus den Landeskirchen verweisen die Freikirchen gern darauf, dass sie wachsen würden oder zumindest stabile Mitgliederzahlen hätten. Etliche sehen bei ihnen daher eine grössere Bedeutung als bisher, eine Religionssendung von Deutschlandfunk Kultur fragte sogar: «Sind Freikirchen die Zukunft des Christentums?».
Das Wachstum der Pfingstgemeinden
«Strong Church» überschrieb der BFP seine Jahreskonferenz in Willingen und wies auf die Notwendigkeit dieser Stärke hin, denn: «Niemand kann übersehen, dass wir in herausfordernde Zeiten leben.» Dabei konnte die Freikirche auf ein vergleichsweise erfolgreiches Jahr zurückschauen. Peter Bregy, Generalsekretär des Bundes, stellte den Besuchern die aktuelle Entwicklung des Verbands vor, der in Deutschland auf 1‘095 Gemeinden mit 74‘405 Mitgliedern angewachsen ist. Damit wuchs der BFP um 94 Gemeinden, 64 davon wurden neu gegründet, 30 wurden als bestehende Gemeinden in den Verband aufgenommen. Es ist eine neue Höchstmarke der einzigen deutschen Freikirche, die seit Jahren kontinuierlich wächst und nun als grösste Freikirche des Landes gilt. Präses Friedhelm Holthuis formulierte zum Abschluss der Tagung daraus die wachsende Verantwortung der Gemeinden: «Starke Gemeinde dient den Schwachen, ist mutig in ihrer Botschaft und lebt aus der Heiligkeit Gottes.»
Die Situation der anderen Freikirchen und Kirchen
Zur bislang grössten Freikirche Deutschlands, dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG/Baptisten) gehören momentan 767 Gemeinden mit rund 72’000 Mitgliedern. Die Freien evangelischen Gemeinden haben keine aktuellen Zahlen veröffentlicht, aber sie haben rund 500 Gemeinden mit ca. 41'000 Mitgliedern. Beim diesjährigen FeG-Bundestag am 27. September hielt Präses Henrik Otto fest: «Ich träume davon, dass wir in zehn Jahren keine Gemeinde mehr schliessen müssen, dass wir unterschiedliche Arten von neuen Gemeinden gründen und dass die geistliche Sehnsucht und Kraft der Generationen Z und Alpha unsere Gemeinden in die Zukunft führen.» Und er ergänzte: «Mit diesen Bildern im Kopf ist mir nicht bange vor der nächsten Etappe, weil ich überzeugt bin, dass wir jetzt und auch in zehn Jahren noch auf Gottes Zettel für dieses Land stehen.» Das wird sicher auch der Fall sein, doch gleichzeitig stagnieren bzw. schrumpfen die beiden klassischen Freikirchen seit mindestens 15 Jahren – also unabhängig vom oft beschworenen Corona-Knick.
Völlig anders stellt sich die Situation der Landeskirchen dar, bei denen nicht nur aktive, erwachsene Gläubige gezählt werden. Sie gehen immer noch von wesentlich grösseren Zahlen aus, müssen aber Jahr für Jahr immense Verluste durch Tod und vor allem Austritte hinnehmen. In Deutschland hatte die katholische Kirche Ende 2024 19,8 Millionen Mitglieder – und 320’000 Austritte im Jahr zu verzeichnen. Die protestantischen Kirchen hatten dagegen rund 18 Millionen Mitglieder und im selben Zeitraum 345’000 Austritte.
Freikirchen zeigen sich nicht als Alternative
Bei aller Wachstumsrhetorik in den klassischen Freikirchen muss man festhalten, dass die meisten seit vielen Jahren nicht mehr zulegen konnten. Einige haben zwar ein paar Gemeinden mehr in ihrem jeweiligen Verband, doch es scheint eher eine Umverteilung der Mitglieder zu sein als echtes Wachstum. Eine Entwicklung gegen den Trend stellt sich momentan nur beim BFP dar. Die Gründe hierfür mögen im Mix aus zugewandtem Glauben, erlebnisorientierter Spiritualität und konservativen Werten liegen. Interessant ist die Frage der Gemeindegrösse. Befeuert durch grössere Kirchen wie die Elim-Gemeinde in Hamburg mit gut 4'500 Mitgliedern und das Gospel Forum Stuttgart mit ca. 3'000 Mitgliedern entsteht leicht der Eindruck, dass die Pfingstgemeinden auch grösser seien als andere. Trotz dieser einzelnen grossen Kirchen bestehen sie jedoch durchschnittlich aus 68 Mitgliedern – und dabei sind die grösseren Gemeinden eingerechnet.
Interessant ist ausserdem, dass die Freikirchen, die sich gern als zukunftsfähige Variante von Kirche präsentieren, in keiner Weise vom Abwärtstrend der grossen Kirchen profitieren können. Wenn in den letzten zehn Jahren fast fünf Millionen Menschen die Landeskirchen verlassen haben, sind dabei sicher etliche, die sich als «religiös unmusikalisch» beschreiben würden. Aber es sind eben auch diejenigen, die enttäuscht von der Frauenfrage in der katholischen Kirche und der Beliebigkeit in den evangelischen Kirchen sind – genau diese Menschen tauchen in den Freikirchen jedoch nicht wieder auf. Diese bieten ihnen also keine Alternative. Erklärungsansätze dafür bietet der Theologe Thorsten Dietz in seinem Buch «Menschen mit Vision», das hier zusammengefasst ist. Noch einmal: Zahlen sind nicht alles. Aber typisch freikirchliche Merkmale wie Mission oder die Durchdringung der Gesellschaft sind ohne steigende Zahlen (und die dahinterstehenden Menschen) nicht vorstellbar.
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