«Ich bin jetzt die Frühstücks-Queen!»
«Als Kind habe ich Blockflöten- und Querflöten-Unterricht besucht, später brachte ich mir das Baritonhorn spielen selbst bei», erzählt Susanne Ryser. Als 16-Jährige gehörte sie zu einer Guggenmusik: «Die Fasnacht bot mir die Gelegenheit, mit einer tollen Band aufzutreten und verschiedene Instrumente zu spielen, von Waschbrett über Piccolo zu Baritonhorn und am Schluss Cornett.» Sonst hatte sie mit der Fasnacht nichts am Hut, erklärt die 53-Jährige. Als Mädchen war sie auch sehr sportlich, besuchte den Turnverein, unterrichtete später Jüngere, war dreimal pro Woche in der Halle anzutreffen. Sie besuchte die Jungschar einer Freikirche, wurde Jugend- und Sport-Leiterin und lernte hier Jesus kennen.
Qual der (Berufs-)wahl
«In der Schule war ich nicht spitzenmässig unterwegs, und damit musste ich meinen Berufswunsch Kindergärtnerin auf anderen Wegen angehen», erzählt Susanne. Sie absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und fand auch schnell eine Stelle. Doch mit Kindern zu arbeiten, blieb weiter ein Herzenswunsch. Deshalb machte sie in Genf ein Praktikum in einer Kinderkrippe, lernte in Kanada Englisch und konnte schliesslich 1995 die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester im Kinderspital Zürich antreten. «Doch dann stürzte ich in den Skiferien und verletzte mich am Knie», erzählt sie. Im Spital vor Ort wurde nichts Gravierendes festgestellt, aber die Schmerzen liessen nicht nach. Schliesslich wurde ein Jahr später der Meniskus entfernt. «Es wurde nicht besser, im Gegenteil – das Knie schwoll über Nacht an und die Bewegung war plötzlich sehr stark eingeschränkt», erinnert sich Susanne. Nach verschiedenen Untersuchungen wurde Morbus Sudeck (heute CRPS genannt) diagnostiziert, ein chronisches Schmerzsyndrom. Die 25-jährige verbrachte drei Monate auf der Rheumatologie der orthopädischen Universitätsklinik Balgrist, später einige Wochen im Unispital Zürich und auch mehrere Monate im Schweizer Paraplegikerzentrum SPZ in Nottwil.
Aus der Traum…
Als Susanne aus dem Balgrist entlassen wurde, ging sie an Stöcken. So konnte sie nicht mehr im Spital arbeiten und musste ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester abbrechen. «Das fiel mir sehr schwer, und ich verstand Gott nicht…», gesteht die sportliche und kinderliebende Frau. Sie fand eine Bürostelle bei PluSport, dem Dachverband Behindertensport Schweiz. «Nach sechs Jahren Physiotherapie konnte ich dann endlich wieder ohne Stöcke laufen», erzählt sie dankbar. Ihr neues Ziel war nun die Sozialpädagogik, dazu machte sie ein Praktikum in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung.
Ihr Musiküben hatte sie immer fortgesetzt, spielte nun in einer sehr guten Brass Band im Zürcher Unterland und nahm mit ihr auch an nationalen Wettbewerben teil. Sie hatte schon in ihrer Freikirche zur Lobpreisband gehört, mit der Querflöte und dem Baritonhorn. Doch immer wieder fühlte sie sich zwischen Stühlen und Bänken: «Ich war Single, engagierte mich für Kinder und Teenager, hatte aber keine eigene Familie – diese Gemeindeglieder werden oft übersehen…» Mehrmals half sie Cornet spielend bei der Topfkollekte der Heilsarmee mit, jenen Open-Air-Konzerten in der Weihnachtszeit, mit denen Spenden in einem Kochtopf gesammelt werden. Ihr Talent führte dazu, dass sie später vom Dirigenten eingeladen wurde, in die Brass Band der Heilsarmee einzutreten.
«Das war ein Geschenk des Himmels», findet Susanne. «Mit dem Wechsel in diese Band wechselte ich auch die Gemeinde.» Von 2012 bis 2018 engagierte sie sich mit viel Herzblut bei der Heilsarmee in Zürich, wurde im Divisionsbüro als administrative Mitarbeiterin angestellt: «Ich habe unzählige Anlässe organisiert, zum Beispiel das jährliche Weihnachtsfest für 700 bedürftige Menschen.»
Nochmals versuchen…
Obwohl sie inzwischen auch an Morbus Crohn litt, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, machte sie nochmals einen Anlauf in die Pflege. Aber zehn Stunden auf den Beinen in einem Altersheim tätig zu sein – das ging nicht. Ausserdem bekam sie immer mehr Schmerzen in der linken Hand. Sie hatte sich vor Jahren bei einem Sturz auf den Rollerblades verletzt. Nach einer Operation entstand auch hier ein Morbus Sudeck.
Die Arbeitsstelle wurde ihr aus gesundheitlichen Gründen gekündigt, nun war sie arbeitslos und musste neben dem Taggeld der Unfallversicherung einen Antrag auf eine IV-Rente stellen. «Ich wollte trotzdem etwas tun und übernahm eine Teilzeitstelle als Kassierin im Schwimmbad meines Dorfes», erklärt Susanne. Während der Pandemie arbeitete sie ausserdem im Impfzentrum Uster. Doch dann erkrankte sie selbst an Covid und leidet bis heute an Langzeitfolgen: «Ich vergesse vieles, muss alles aufschreiben, habe Wortfindungsstörungen, bin sehr schnell und viel erschöpft.» Sie muss sehr gut haushalten mit ihrer Energie, immer wieder Pausen einlegen, kleine Etappen einplanen. Oft empfindet sie im ganzen Körper Schmerzen – alte und neue Beeinträchtigungen kumulieren sich.
Da ist noch was möglich
Susanne hat sich ihr Fahrrad so umbauen lassen, dass sie mit einer Hand bremsen kann. In der anderen fehlt ihr die Kraft dazu. Musizieren kann sie schweren Herzens nicht mehr, geniesst jedoch, Lobpreislieder und Brass Band-Musik zu hören. Aufgeben ist keine Option für die Jesus-Nachfolgerin. «Viele haben schon für mich gebetet und stehen treu im Gebet hinter mir», hält sie fest. Sie war auch an Heilungsveranstaltungen – ohne sichtbaren körperlichen Erfolg. Doch sie weiss: «Spätestens im Himmel bin ich dann wieder gesund.» Sie hat sich zur Ernährungsberaterin und integrativen Ernährungsexpertin ausgebildet, ist vor Ort in der Praxis und online als «Frühstücks-Queen» unterwegs. Immer in dem Rahmen, wie Körper und Energielevel es zulassen. Nun strebt sie das Diplom in christlicher Naturheilkunde an. «Ich kann es online machen – über zwei Stunden Anfahrt würde ich nicht schaffen», sagt Susanne.
Dass sie nicht depressiv wurde, schreibt sie in erster Linie Gottes Güte zu, «Ohne diesen Unfall mit Mitte Zwanzig wäre ich nicht die, die ich heute bin», findet sie. «Gott hat mich damit auf neue Wege geführt.»
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