Freitag, 3. Mai 2024

Freiheit hinter der «schwarzen Mauer»

Michael und Eva Lindt, wohnen in Chur
Eva und Michael Lindt aus Chur haben eine heftige Ehekrise hinter sich. Er gestand ihr seine Pornosucht. Gemeinsam machten sie sich daran, ihre Beziehung zu retten. Seit das Thema auf dem Tisch liegt, hat ihre Ehe an Tiefe gewonnen.

Wer dem jungen Ehepaar in die Augen sieht, ahnt nichts von den immensen Herausforderungen, denen die beiden vor wenigen Jahren gegenüberstanden. Michi Lindt arbeitet in der Metallbranche, Eva ist gelernte Reittherapeutin und leitet seit vier Jahren den Buch- und Geschenkeladen Präsent in Chur. «Es ist ein schöner Ausgleich zu meinem Alltag als Mutter», erklärt die junge Frau mit Blick auf ihren knapp zweijährigen Sohn.

«Paketbombe»

Alles andere als ein schönes Geschenk legt Michi seiner Liebsten 2019, zwei Jahre nach der Hochzeit, auf den Tisch. Während der Ferien gesteht er Eva seine Pornosucht. Schon lange spürt er, dass er damit seine Werte verrät. «Wenn Frauen Gewalt angetan und sie unterdrückt werden, blutet mein Herz», gesteht der 30-Jährige. Dennoch konsumierte er Bilder, die oft unter solchen Umständen entstanden sind. Und er betrügt damit seine Frau. «Ich kenne Eva und wusste, dass sie das sehr verletzt.» Das Bekenntnis verlangt ihm alles ab, er hat grosse Angst, sie zu verlieren. Doch er hält den Druck, Eva etwas zu verheimlichen, nicht mehr länger aus. Zu gross ist das schlechte Gewissen, zu laut hört er die Stimme, die ihn auffordert, sich seiner Ehefrau anzuvertrauen. «Diese Stimme», so ist Michi überzeugt, «war Gott. Er wollte, dass ich aus meiner Gefangenschaft frei- und von diesem destruktiven Verhalten loskomme.»

Grosse Zweifel

Eva erinnert sich an jenen Moment: «Es war ein Schlag ins Gesicht, nichts war mehr wie zuvor.» Die damals 24-Jährige gerät ins Zweifeln, stellt ihre gemeinsame Zukunft in Frage. Für sie gilt, was sie vor dem Traualtar versprochen hat, und sie kennt ihren Mann als offenen, authentischen Menschen. Nun ist sie schockiert: «Wie konnte das passieren? Warum habe ich nichts gemerkt?Ich habe ihm voll vertraut – und dann hintergeht er mich so!», beschreibt Eva ihre Reaktion. Sie sinniert: «Das Thema Pornografie war wie eine schwarze Mauer zwischen uns gestanden, unsere Sexualität unbefriedigend geworden. Michi wurde dadurch getriggert, Pornos zu konsumieren.»

Pure Liebe

Auf das Geständnis ihres Mannes reagiert Eva völlig unerwartet. «Mein Kopf sagte: Das lasse ich nicht mit mir machen!» Aber dann geschieht etwas ganz anderes. Gott füllt ihr Herz mit tiefer Liebe. Sie erzählt: «Ich nahm Michi in den Arm und tröstete ihn – das hat Gott bewirkt.»  Menschlich sei dies nicht zu erklären. Sie versucht es dennoch: «Ich spürte, dass Gott auch mit Michi leidet. Er begegnet ihm trotz seiner Fehler mit Liebe und Barmherzigkeit.» Von nun an kämpfen Eva und Michi gemeinsam für ihre Ehe. Sie reden offen über alles, was zur Abhängigkeit geführt hat, verschweigen sich nichts. «Das war für mich weit weniger verletzend, als wenn Michi mir sein Tun weiterhin verheimlicht hätte», erklärt die junge Ehefrau. Sie erkennen den Schaden, den der Pornokonsum ihrer Beziehung zufügt.

«Pornos vermitteln ein falsches Bild, die Frau wird zum Objekt.»

Umkehr

Es sei ein langer Prozess gewesen, frei zu werden, gesteht Michi: «Pornos vermitteln ein falsches Bild, die Frau wird zum Objekt.» Es sei nicht einfach, dem Rausch zu widerstehen, den die Bilder und Videos auslösen. Nachweislich verändert Pornokonsum die Hirnstruktur und kann süchtig machen. «In unserer christlich geprägten Jugend wurden Themen wie Selbstbefriedigung oder Pornokonsum als verwerflich dargestellt, aber darüber reden konnte man nicht», halten die beiden fest. Das soll sich ändern.

Ehrliche Gespräche

Das Paar vertraut sich seinen Herkunftsfamilien an, tauscht sich auch mit Freunden über das belastende Thema aus. Beide lassen sich von Seelsorgern begleiten, reden viel miteinander. Eva lernt, dass sie weder Polizistin noch Michis Therapeutin sein muss. Damit würde sie eine falsche Rolle übernehmen. Beide erkennen, dass nicht der Partner für ihr Glück verantwortlich ist, sondern jeder für sich selbst. Eva lässt die Sorge um Michi los und erlebt, dass Gott sich um sie beide kümmert. «Bei Gott konnte ich mich auskotzen, alle Gefühle zulassen, ihn anklagen und hinterfragen. Er hielt das aus.» Schritt für Schritt erlebt das Paar, dass Gott das Zerbrochene heilt. «Ich weiss nicht, wie es uns ohne Gottes Hilfe heute gehen würde – vielleicht wären wir nicht mehr zusammen», hält Eva nüchtern fest.

Ich will sie nicht verlieren

Zehn Jahre war Michi in seiner Sucht gefangen, nun ist er frei. «Gott war mein bester Therapeut», bekräftigt der junge Mann. «Er hat mich von zerstörerischen Verhaltensmustern befreit und Wunden geheilt, die mir im Laufe der Jahre zugefügt worden waren.» Er hat seinen Schöpfer gebeten, ihn zu warnen, wenn er in Versuchung gerät. «Ich spüre dann jeweils wieder die Angst, Eva zu verlieren. Und das will ich auf keinen Fall!» Dankbar fügt er an: «Ich wusste gar nicht mehr, wie Freiheit schmeckt – sie zu erleben, ist ein unverdientes Geschenk!»

«Es ist, als hätte ich das Leben jahrelang nur schwarz-weiss wahrgenommen. Jetzt sehe ich wieder farbig!»

Farben sehen

Eva bestätigt und ergänzt: «Mein Vertrauen in meinen Mann ist wieder ganz da. Gott kann aus Dreck Gutes wachsen lassen.» Absolute Sicherheit vor einem Rückfall gebe es nicht, aber sie gehe Schritt für Schritt vorwärts. «Gott wird da sein, wenn wieder eine Krise kommt,» sagt sie. Michi resümiert: «Es fühlt sich gut an, zu den Tatsachen zu stehen, aus der Dunkelheit ans Licht zu kommen. Es ist, als hätte ich das Leben jahrelang nur schwarz-weiss wahrgenommen. Jetzt sehe ich wieder farbig!»

Erkenntnis teilen

Michi und Eva haben beim LiSa Eheatelier eine Seelsorge-Ausbildung für Paare absolviert. «Wir lernten dort, wie wichtig eine offene Kommunikation ist.» Sie ermutigen, in die Ehe zu investieren und Probleme anzusprechen, bevor die grosse Krise da sei. Das Paar wünscht sich, dass seine Offenheit bewirkt, dass auch andere den Mut finden, sich von Gott aus diesem Gefängnis befreien zu lassen.

Fragen an Michi:

Einer meiner Lieblingsplätze im Graubünden: Igis

Mein Lieblingsbuch: «Noah» von Damaris Kofmehl

Meine liebste Jahreszeit ist... Jetzt (ich mag die Abwechselung

Eine App auf meinem Handy, die nicht alle haben: Malteser Taschengeld App

Fragen an Eva:

Einer meiner Lieblingsplätze in Chur: Rheinufer

Mein Lieblingsbuch:  «Im Herzen die Freiheit» von Elisabeth Büchle

Meine liebste Jahreszeit... der Frühling

Eine App auf meinem Handy, die nicht alle haben: Bring! (Einkaufsliste)

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Weitere Hilfsangebote: escape.jetzt

Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Hope Regiozeitungen