«Ich bleibe zuversichtlich»
«Ich war 20, als meine Tochter zur Welt kam», beginnt Alice Kunz-Wanjiru ihre Geschichte. «Drei Monate nach der Geburt hat ihr Vater uns verlassen». Die Kenianerin ist eines von sechs Geschwistern und arbeitete in Kakamega in der Metzgerei ihres Vaters. Ihre Tochter gehörte nun auch zur Grossfamilie. «Meine Mutter hatte mich beten gelehrt», erzählt Alice. «Damals habe ich Gott einfach gesagt, was ich mir wünsche. Dass da mehr dahintersteckt, wusste ich nicht.»
Harte Landung in der Schweiz
Im Jahr 2000 besuchte Alice eine Tante in der Schweiz, blieb drei Monate. Dabei lernte sie einen Mann kennen, den sie zwei Jahre später heiratete. Ihre Tochter brachte die damals 30-Jährige mit in die neue Heimat. Leider verlief die Ehe nicht so wie erhofft. «Mit der Zeit stritten wir nur noch, und nach sieben Jahren liessen wir uns scheiden», erzählt Alice. Sie arbeitete zu jener Zeit halbtags als Küchenhilfe in einem Altersheim. Als die Schmerzen ihrer Arthritis immer stärker wurden, musste sie die Erwerbstätigkeit aufgeben. «Ich hatte grosse Angst, in Schulden zu geraten», gesteht Alice. Ihr Hausarzt beantragte eine IV-Rente. «Gott sorgt so gut für uns», zeigt sich die jugendliche Grossmutter noch heute erleichtert über diese Unterstützung.
Das Burnout
Ihre Tochter schloss sich einem Freundeskreis an, der ihr schadete. Sie konsumierte Suchtmittel und brach fünf Monate vor der Abschlussprüfung ihre Ausbildung ab. Es zeigte sich, dass sie psychisch erkrankt war. Alice bedrückten die gesundheitlichen, finanziellen und emotionalen Herausforderungen immer mehr. Auch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB konnte nicht helfen. Alice geriet in ein Burnout und suchte ihrerseits Hilfe in einer psychiatrischen Klinik. Drei Monate besuchte sie die Therapieangebote, doch ihre Not blieb. «Wenn Sie gläubig sind, dann wenden Sie doch ein Ritual aus ihrer Religion an!», ermutigte sie die Ärztin.
Der Kampf
Kurz darauf hatte Alice einen eindrücklichen Traum. «Ich führte einen heftigen Kampf», erzählt sie. «Mein Gegner war sehr stark. Doch ich sagte ihm: ‹Ich bin ein Kind von Jesus, ich gehöre ihm!› Da liess die Gestalt plötzlich von mir ab und ich wachte auf». Es war drei Uhr morgens, das Bettzeug durchgeschwitzt. «Ich ging neben dem Bett auf die Knie und dankte Jesus, dass er mir geholfen hat». Alice spürte, dass etwas Neues begonnen hatte. Sie erzählte der Psychiaterin beim nächsten Gespräch davon. Diese war sehr erleichtert, gestand: «Ich weiss nicht, wie ich Ihnen noch hätte helfen können.»
Bald ging es Alice besser, sie durfte nach Hause und begann, die Gottesdienste der Stadtmission St. Gallen zu besuchen. Dort begegnete sie Menschen, die jeden Tag mit Jesus leben und ihren Glauben miteinander teilen. Bis heute trifft sie sich regelmässig mit Freunden, um zu beten und sich auszutauschen. Mit anderen Müttern betet sie für die Schulen in St. Gallen. Während der Hausarbeit hört Alice christliche Lieder und singt aus vollem Herzen mit, sagt dazu beschwingt: «In Jesus habe ich einen Freund und Bruder gefunden, der mich liebt, begleitet, tröstet und stärkt.»
Das Déjà-vu
Die Hoffnung und den Glauben, dass auch ihre Tochter gesund werden und ihr Leben in den Griff bekommen wird, gibt Alice nicht auf. Früh zog die junge Frau von zu Hause aus, wurde – wie Alice – mit 20 schwanger. «Noch bevor das Kind auf der Welt war, hat man ihr das Recht auf Obhut entzogen und den Vater ausgeschafft», berichtet Alice. Liebend gern hätte sie ihre Enkelin sofort zu sich genommen, aber diese wurde zuerst einer Pflegefamilie anvertraut. Schliesslich erkämpfte sich die Grossmutter mit Hilfe einer Anwältin das Recht, für Neriah zu sorgen. Nach einem Jahr durfte sie das Kind zu sich nehmen.
Die zwei haben ein inniges Verhältnis, trotzdem wird die Achtjährige ab und zu von der Sehnsucht nach ihrer Mutter übermannt. «Mami hat dich lieb, aber sie ist krank und kann dich deshalb nicht zu sich nehmen», erklärt ihr Alice dann. «An meinem Geburtstag vor einer Woche war sie den ganzen Tag da!», wirft das Mädchen ein und strahlt. In solchen Momenten fühlt sich Neriah getröstet. Und wenn der Schmerz zurückkehrt, sagt sie es ihrer Grossmutter. Dazu Alice: «Dann halten wir einander an den Händen und beten.»
Eine Mutter für viele
«Ich liebe Kinder, ich bin eine Mutter für viele Kinder», betont Alice. «Wenn ich sie um mich habe, bin ich glücklich.» Die Fröhlichkeit der afrikanischen «Mama» steckt an. Oft wird die 49-Jährige für die Mutter ihrer Enkelin gehalten. Und sie besucht regelmässig Neriahs Schule, wo sie an Turn- oder Schwimmstunden teilnehmen darf. «So habe ich schwimmen gelernt», erklärt Alice begeistert. «Das Turnen ist gut für meine Gelenke!». Manchmal besucht sie die Klasse auch während ein, zwei Lektionen. Für Lehrerin und Grossmutter ist es eine Win-Win-Situation. Die Kinder lieben Alice und schreiben ihr Briefchen, wenn sie länger nicht mehr da war. Und Alice verschenkt grosszügig ihre Liebe. «Jedes Kind soll sich angenommen fühlen!» In der «Stami», ihrer Kirche, ist Alice ebenfalls ab und zu dabei, wenn bis zu 50 Kinder der Umgebung zum Spiel- und Bastelnachmittag eintrudeln.
Gott ist alles möglich
Wenn sie nachts nicht schlafen kann, liest Alice in ihrer Bibel. «Ich bin ein lebendiges Beispiel dafür, dass Jesus hilft und heilt. Ich erlebe jeden Tag, wie gut er zu mir ist.», Dass ein befreundete Familie Neriah regelmässig mit Kleidern und Schuhen versorgt, betrachtet Alice als grosses Geschenk, einen Beweis, dass Gott für seine Kinder sorgt. «Ich möchte Neriah weitergeben, was ich mit Gott erlebt und gelernt habe. Sie soll wissen, dass ihm alles möglich ist», hält Alice fest. «Mein Leben soll andere Menschen ermutigen. Auch sie können Jesus als Freund gewinnen.» Was im Leben von Alice auch noch geschehen mag: «Ich bin gespannt und bleibe zuversichtlich. Gott ist ein Gott der Überraschungen. Er kann aus allem etwas Schönes entstehen lassen.»