«Es braucht auch Wettkampf-Glück»
Am 3. Mai 1999 kam Fabian Recher mit einem offenen Rücken, medizinisch Spina bifida, zur Welt. Doch obwohl seine Wirbelsäule nicht fertig ausgebildet war und dies gewisse Beschwernisse zur Folge hatte, blieb sein Kampfgeist bis heute ungebrochen.
Als Kind auf dem Fussballplatz
«Grundsätzlich erlebte ich eine relativ normale Kindheit», blickt Fabian auf seine ersten Lebensjahre zurück. «Ich ging zur Schule und brauchte den Rollstuhl nur selten. Meine Gehfähigkeit war damals noch besser als heute.» Fabian war als Junge oft auf dem Fussballfeld anzutreffen. Trotz seiner Freude am Bewegen und dem Willen, sein Bestes zu geben, zeigte sich seine Einschränkung immer wieder. Er hatte weniger Ausdauer als seine Mitschüler. Manchmal war Fabian nach dem Fussballspiel derart erschöpft, dass er mit dem Rollstuhl nach Hause geschoben werden musste.
Es folgten einige Jahre, in denen sich sein Zustand verschlechterte. Das zwang ihn, nach adäquaten Sportarten Ausschau zu halten. So spielte er eine Zeitlang Badminton im Rollstuhl. Nachdem sich Fabian dann aufs Skifahren konzentriert hatte und als Ausgleich im Sommer mit dem Handbike trainierte, wurde Letzteres zunehmend sein bevorzugtes Sportgerät. «Handbiken war die Sportart, die ich am selbstständigsten ausüben konnte», erklärt Fabian. Der junge Mann liebt es, sich im Freien zu bewegen und Strassen und Radwege «unsicher zu machen».
Ein Kaufmann gewinnt Sportmedaillen
Nach der obligatorischen Schule absolvierte Fabian eine kaufmännische Berufslehre. Seit seinem Abschluss 2019 arbeitet er Teilzeit im Personalwesen einer grösseren Firma und widmet sich daneben voll dem Sport. In den letzten Jahren konnte Fabian immer mehr Erfolge als Handbiker verbuchen. 2021 krönte er seine Karriere an der Weltmeisterschaft in Portugal mit der Bronzemedaille. Als es im Mai 2022 darum ging, diesen Erfolg bei den Weltcups zu bestätigen, war Fabian zurückhaltend optimistisch. Er wusste zwar, dass er fähig war, mit der Weltspitze mitzuhalten, dafür mussten aber viele Faktoren stimmen.
Das Unterfangen gelang – und Fabian fuhr auf den dritten Platz. «Es muss vieles zusammenpassen, um auf dem Podest zu stehen. Kaum hat man sich versehen, findet man sich ein paar Plätze weiter hinten wieder.» So ist der Rennsport, es gilt, immer dranzubleiben, um vorne dabei zu sein. Viele, aber nicht alle Faktoren können beeinflusst werden. «Letztlich braucht es immer auch etwas Wettkampfglück», weiss Fabian. Vor grösseren Rückschlägen wurde er bislang verschont. «In den letzten Jahren ging es langsam, aber beständig aufwärts.» Natürlich hätte er sich zuweilen bessere Resultate gewünscht, ist aber dankbar, bis dato keine Verletzungen erlitten zu haben.
Den eigenen Weg finden und gehen
In der der fünften Klasse und den darauffolgenden Jahren stellte sich Fabian oft die Frage nach seinem Wert. In diesen Jahren sind wohl alle herausgefordert, die eigene Identität zu entdecken und den Weg in ihrem Leben zu finden. Fabian sagt dazu: «Hierbei hat mir der Sport sehr geholfen. Ich merkte aber auch, dass es gefährlich sein kann, seine Identität nur im Sport zu sehen. Wenn es dort nicht mehr läuft, was bleibt mir dann noch?» In solchen Situationen vermittelt ihm sein Umfeld Stabilität. Da Fabian viel unterwegs ist, kann er keinen grossen Freundeskreis pflegen. Nebst einigen engen Freunden ist ihm seine Familie eine grosse Stütze.
«Die Frage, ob ich lieber uneingeschränkt Sport treiben würde, stellt sich nicht.» Fabian hat längst ein «Ja» zu seiner Situation gefunden. «Natürlich gibt es unschöne Situationen. Letztlich ist es so, wie es ist und ich kann mit meiner Ausgangslage glücklich sein.» Zu sehen, wie stark Mitmenschen aufgrund von Unfällen eingeschränkt sind, lässt ihn dankbar sein. «Das Blasen- und Darmthema, also die Inkontinez, beschäftigt mich im Alltag am meisten. Leider ist dies in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, es gehört aber zu meinem Leben dazu und bedeutet täglich einen Mehraufwand», erklärt Fabian.
Persönliches (mit)teilen
Der christliche Glaube, den ihm seine Eltern vermittelt haben, ist Fabian eine wertvolle Hilfe – auch wenn er sich mit dem Engagement in einer Kirche in den vergangenen Jahren etwas schwer tat. Er schätzt den Umgang mit Sportlern, die auch persönliche Themen und Gespräche nicht scheuen. «2020 war ich in einem Langlauflager im Engadin», berichtet Fabian von seinem ersten Kontakt mit der Organisation SRS (Sportler ruft Sportler). Sie wurde gegründet, um junge, aktive Sportler zu verbinden. Davon kann Fabian Recher heute profitieren. So war er beispielsweise überrascht, bei SRS einen Kollegen aus der Berufsschule anzutreffen, der Unihockey spielt. Der junge Sportler freut sich immer, wenn er Einblick in eine andere Sportart erhält und sagt: «Das ist für mich eine grosse Bereicherung. Ebenso der Austausch mit anderen Sportlern. Bei SRS sprechen wir offen über private Herausforderungen und auch Fragen des Glaubens.»
Zur Person:
Einer meiner Lieblingsplätze in Spiez:
Ein Spaziergang über den nahegelegenen Bauernhof mit Sonnenuntergang Richtung Simmeflue
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Netflix und Chillen
Meine Lieblingsmusik:
«Hecht» im Trainingslager mit meinem Zimmerpartner, «Imagine Dragons» bei harten Intervallen auf der Trainingsrolle
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Trainingsauswertungstools wie Training-Peaks und Strava, um neue Routen zu planen