Walter Brueggemann im Alter von 92 Jahren verstorben

Walter Brueggemann
Walter Brueggemann, einer der angesehensten Bibelwissenschaftler der Neuzeit und eine prophetische Stimme der amerikanischen Theologie, ist im Alter von 92 Jahren am 5. Juni friedlich in seinem Haus in Michigan verstorben.

Die meisten evangelikalen Leser werden ihn weniger kennen, aber unter Theologen nimmt der Alttestamentler Walter Brueggemann eine prominente Stellung ein – ein bisschen so wie N.T. Wright für das Neue Testament. Im Laufe seiner mehr als sechs Jahrzehnte umfassenden Karriere verfasste Brueggemann über 100 Bücher und unzählige Artikel und prägte damit Generationen von Geistlichen und Laienführungskräften. Leider wurde nur eins seiner Bücher ins Deutsche übersetzt.

Sein theologisches Vermächtnis lebt in den Predigten von Pfarrern fort, die sich von seiner Arbeit inspirieren liessen – insbesondere von seiner bahnbrechenden Publikation «The Prophetic Imagination» aus dem Jahr 1978, die sich mehr als eine Million Mal verkauft hat und auch heute noch in vielen Seminaren gelehrt wird.

Brueggemann war emeritierter Professor für alttestamentliche Studien am Columbia Theological Seminary in Decatur, Georgia, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 lehrte. Als produktiver Autor, Lehrer und Prediger konzentrierte sich seine Forschung auf die hebräische Bibel, insbesondere auf die prophetischen Texte. Ein seriöser Student des Alten Testaments kommt an seiner «Introduction to the Old Testament» nicht vorbei. Mit seiner Arbeit stellte er die vorherrschenden Lesearten der Heiligen Schrift infrage und bestand darauf, Gottes Stimme in der gelebten Realität der Gegenwart neu zu hören. «Unterschiedlichkeiten, Zwiespältigkeiten und Widersprüchlichkeiten in den Texten sollten bestehen bleiben, weil auch der Gott Israels komplex und rätselhaft sei», schreibt Manuel Schmid.

«Die Welt der Bibelwissenschaft wird nie wieder dieselbe sein», sagte Dr. William P. Brown, Professor für Altes Testament. «Walter Brueggemann hat während seines fruchtbaren Wirkens am Columbia Theological Seminary im Alleingang die Bibelwissenschaft zum Wohle der Kirche und der Welt neu definiert. Unzählige Studenten und Pastoren wurden durch Walters Lehre und seine Schriften verändert. Auch Kollegen. Wir alle stehen in Walters Schuld für seine prophetische Vorstellungskraft, seine kreativen Worte, seine tiefe Weisheit, seine fruchtbare Energie und seine schiere Gnade.»

Prophetische Stimme

1933 in Tilden, Nebraska, geboren, wuchs Brueggemann in Blackburn, Missouri, auf, wo sein Vater Pfarrer in der Deutschen Evangelischen Synode von Nordamerika war, der in der pietistischen Tradition verwurzelt war und in ihm die Liebe zur Bibel und zur Theologie weckte, wie er oft betonte. Als Teenager besuchten er und sein Bruder eine örtliche schwarze Kirche – eine Erfahrung, die ein lebenslanges Engagement für soziale Gerechtigkeit auslöste.

Obwohl er in der United Church of Christ ordiniert wurde, hatte Brueggemann nie eine Pfarrstelle inne. Dennoch war er ein gefragter Prediger und Dozent, der für seine Predigten bekannt war, die gleichzeitig tief in der Heiligen Schrift verwurzelt waren und sich unverblümt mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Realitäten auseinandersetzten. Er äusserte sich oft kritisch zu Konsumdenken, Nationalismus und Militarismus – nicht aus Parteinahme, sondern aus der prophetischen Überzeugung heraus, dass der Glaube der Ungerechtigkeit entgegentreten muss. «Es ist die Berufung des Propheten», schrieb er einmal, «den Dienst der Vorstellungskraft lebendig zu halten, immer wieder zukünftige Alternativen zu der einen zu beschwören und vorzuschlagen, die die Herrscher als die einzig denkbare hinstellen wollen.»

Auch im Ruhestand blieb Brueggemann eine produktive Stimme des christlichen Denkens und verfasste bis in seine späten Jahre hinein Essays, Reflexionen und Vorträge. Er war weiterhin Mentor für Pastoren und Studenten und nahm regelmässig an Versammlungen der United Church of Christ teil.

Brueggemann hinterlässt seine Frau Tia, seine Söhne James und John und deren Familien.

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christian Today

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