Samstag, 18. Mai 2024

«Schau durch die Augen der Ärmsten!»

Ben von Gunten
Ben von Gunten war drei Jahre in Kamerun und setzt sich auch heute noch für benachteiligte Menschen in Afrika ein. Er ist überzeugt, dass wir der weltweiten Ungleichheit begegnen müssen und träumt davon, dass Christen dabei vorangehen.

Vorfälle wie der Niedergang der Credit Suisse werfen bei vielen Menschen Fragen auf. Plötzlich wird über Gier oder Ungerechtigkeit gesprochen und irgendwann kommt auch die Wirtschaftsethik zur Sprache. Seit Jahren hat der Familienvater und Elektroingenieur Ben von Gunten (42) ein Anliegen für eine gerechtere Weltwirtschaft.

Menschen reagieren auf Ungerechtigkeit

Beim Thema Ungerechtigkeit beginnen viele Leute hinzuhören und Fragen zu stellen. «Die Leute beschäftigt es, wenn eine Ungleichheit herrscht», stellt Ben fest. «Es ist die Ungleichheit, die uns darauf hinweist, dass es eine Wirtschaftsethik braucht.» Ben spricht von 20 Prozent der Weltbevölkerung, welcher es gut geht, während 80 Prozent an Mangel leidet – mehr oder weniger ausgeprägt. Interessanterweise finden sich viele Rohstoffe in ärmeren Ländern. Die Menschen vor Ort profitieren aber nicht davon.

Während seines Aufenthalts in Kamerun fiel Ben auf, dass täglich grosse Mengen an Holzstämmen aus den Wäldern heraustransportiert werden, während es der lokalen Bevölkerung immer schlechter geht. «Eine Firma kam und rodete den Urwald, um eine Palmölplantage aufzubauen. So wurde vielen Leuten das Land weggenommen, welches sie seit Generationen bewirtschaftet haben.» Fazit: Wenige haben profitiert, die lokale Bevölkerung und die Umwelt aber Schaden erlitten.

Der Schatten der Globalisierung

Aufgrund des globalen Handels profitieren Menschen in reichen Ländern davon, dass Menschen in armen Ländern ausgebeutet werden. Wir können dem nicht entgehen, trotzdem ist es eine Tatsache. «In unserer global verbundenen Welt ist unser Nächster eigentlich an jeder Ecke der Welt. Wenn wir von christlicher Nächstenliebe reden, dürfen wir die Augen nicht davor verschliessen.»

Ben hält auch fest, dass sich viele Länder aufgrund grosser Verschuldung kaum wehren können, wenn reiche Länder ihre Forderungen an sie stellen.

Sagt die Bibel etwas über Wirtschaftsethik?

Seit fünfzehn Jahren arbeitet Ben als Elektroingenieur im Inselspital in Bern. Während dieser Zeit absolvierte er auch ein Theologiestudium am IGW, wo er sich im Rahmen seiner Diplomarbeit vertieft mit Wirtschaftsethik auseinandersetzte.

«Interessiert sich die Bibel eigentlich für Wirtschaftsethik?», hatte er sich gefragt. «Und wenn ja, wie?» Sehr schnell staunte er, wie viel die Bibel über Arbeit und Handel zu sagen hat. Wirtschaftsethik scheint Gott wichtig zu sein! Den Anweisungen Gottes zu folgen, erachtet Ben aber als Herausforderung. «Es gibt den Standard, den Gott setzt und daran müssen wir uns orientieren. Gleichzeitig sind wir aber auch begrenzt. Da besteht eine Diskrepanz: Wir müssen im Hier und Heute leben, in einer Welt, wo vieles nicht perfekt ist. Und gleichzeitig versuchen wir, Gutes – im Sinne der Nächstenliebe und der Achtung vor der Schöpfung – reinzubringen.»

Wie betrachten wir unsere Welt?

Im Rahmen seiner Diplomarbeit konsultierte Ben verschiedene Autoren und studierte deren Konzepte. «Ein Konzept besteht darin, dass wir durch die Augen der Ärmsten blicken. Wie geht es den Ärmsten, den Opfern des Wirtschaftssystems?» Ein Schlüssel hierzu ist die Begegnung mit diesen Leuten. In dieser Hinsicht ist sein dreijähriger Aufenthalt in Kamerun für ihn eine wertvolle Erfahrung. Und heute steht Ben über den Verein «Écoute-moi», welcher schwerhörige Menschen in Afrika unterstützt, in Kontakt mit dem notleidenden Kontinent.

«Das zweite Konzept denkt die Welt als Dorf. Wenn ich dies tue, frage ich mich, ob es für mich ok wäre, wenn der Wald vor meiner Haustüre gerodet würde oder wenn mir mein Garten genommen würde, um eine Palmölplantage zu machen.» Auf diese Weise ist es einfacher, die Ungerechtigkeit dieser Welt als solche zu erkennen.

Wir brauchen Pioniere

Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu erkennen, ohne entsprechend darauf reagieren zu können, ist mit Sicherheit nicht das Ziel. Trotzdem sieht Ben in der Sensibilisierung für die globale Ungleichheit einen wichtigen Schritt. «Wichtig ist, Begegnung mit den Ärmsten zu schaffen.» Da wir viele Migranten aus den ärmsten Ländern bei uns haben, können wir diesen auch in unseren Gemeinden eine Stimme geben. «Wir könnten zum Beispiel Afghanen oder Eritreer zum Essen einladen.» Aus solchen Begegnungen ergeben sich dann weitere Schritte. In Bens Kirche findet seit einigen Jahren die «International Night» statt: ein grosses, länderspezifisches Nachtessen mit Vorträgen, Musik, Tanz und Erlebnisberichten. Der zweimal jährlich stattfindende Anlass wird jeweils von 200 bis 300 Leuten besucht.

Für praktische Umsetzungen braucht es dann Pioniere. «Warum können nicht Christen diejenigen sein, die hier Pionierarbeit leisten?» Ben träumt davon, dass Christen damit beginnen, die Ärmsten in ihre Überlegungen einzubeziehen. Strukturen müssen geschaffen werden, um sich um die Not in unserem Umfeld zu kümmern. «Gleichzeitig müssen wir aber heute die Nächstenliebe global denken und so die Menschen auf der ganzen Welt im Auge behalten.»

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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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