Samstag, 18. Mai 2024

«Unsere Landeshymne heisst ‘Die Hoffnung’»

Michal Hoffman
Michal Hoffman ist ehemalige Mitarbeiterin der israelischen Botschaft Deutschland. Nach den Hamas-Angriffen hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben – und ruft den Westen auf, die Augen zu öffnen.

Heute ist Michal Hoffman international tätige Vortragsreferentin, Reiseleiterin und lebt in Tel Aviv. Sie hat Archäologie, hebräische Literatur und Israel-Studies studiert, mit Masterabschluss in Nah-Ost Geschichte und arbeitete mehrere Jahre als Korrespondentin und Vortragreferentin zum Thema Nahost-Konflikt beim christlichen Verein Aseba.

Erich Gysling, Nahostexperte und Journalist, betonte in der Sendung «Gredig Direkt» auf «SRF 1», er sehe «keinen Funken Hoffnung mehr» für den Nahen Osten. Sehen Sie das auch so?
Michal Hoffman:
Nein. Unsere Landeshymne, die haTikwa, heisst übersetzt «Die Hoffnung». Hoffnung hatten wir schon immer, das werden wir immer haben. Ohne Hoffnung hätten wir alles verloren. Golda Meir hat schon gesagt: «Der einzige Ort, zu dem wir fliehen können, ist das Meer, und bevor wir das tun, können wir genauso gut kämpfen.» Also kämpfen wir für unser Land!

In den Medien wird jetzt vor allem das Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen thematisiert.
Die Bevölkerung wird von Hamas als lebendes Schild benutzt. Das müsste zwischenzeitlich jedem klar sein. Die Israeli wollen keinen einzigen Zivilisten töten, auch nicht im Gazastreifen. Wir möchten die Zivilbevölkerung evakuieren. Das gibt es sonst in keinem Krieg, weder in Afghanistan noch im Irak noch in Syrien. Wenn Hamas die Bevölkerung daran hindert, sich in Sicherheit zu bringen, wer ist dann der Schuldige?

Der Bundesrat prüft im Moment, ob die Schweiz die Hamas verbieten und sie auf die Liste der terroristischen Organisationen setzten soll.
Was gibt es da zu prüfen? Eine Organisation, die Frauen, Kinder, Männer, Unschuldige bestialisch abschlachtet, ist eine Terrororganisation. Nichts anderes. Der Vorwand, die Schweiz könne, sollte sie die Hamas verbieten, nicht mehr verhandeln, ist dumm! Hamas will nie verhandeln, Hamas will uns auslöschen, so steht es in ihrer Charta. Nach dem letzten Freitagsgebet sind Hunderttausende von Moslems in islamischen Staaten jubelnd auf die Strasse gegangen und haben den Terror der Hamas gefeiert.

Heisst das, dieser Krieg in Israel wird kein lokales Problem bleiben, sondern globale Ausmasse annehmen?
Auf jeden Fall. Hamas gehört der Islamischen Bruderschaft an, ihr erklärtes Ziel ist nicht nur, Israel auszulöschen, sondern die ganze Welt unter die islamische Herrschaft zu bringen. Hamas ist vergleichbar mit IS.

Bis jetzt ging die Gefahr für Radikalismus und Terror vor allem von Islamisten aus. Muss man jetzt davon ausgehen, dass die jubelnden Massen in islamischen Staaten schlicht alle von islamistischem Gedankengut bestimmt werden?
Eine schwierige Frage. Man darf nicht vergessen: Seit 75 Jahren wird in den islamischen Staaten gegen Israel gehetzt. USA ist der grosse, Israel der kleine Satan. Das hat sich in den Köpfen dieser Millionen von Menschen eingebrannt. Diese Massendemonstrationen sehe ich auf dem Hintergrund dieser Tatsache.

Kommt dieser Terror auch nach Europa?
Der ist schon in Europa. Europa und natürlich auch die Schweiz müssen sich warm anziehen. Der Terror in Europa richtet sich nicht nur gegen jüdische Menschen und Einrichtungen. Weihnachtsmärkte, Konzerte, Feste sind Ziele des Terrors. Ich habe in meinen Vorträgen in der Schweiz schon vor acht Jahren gesagt, dass der Terror auch nach Europa kommen wird. (...) Mit der islamischen Ideologie hat man nicht nur Hass gegen Israel, sondern auch Hass gegen das Christentum importiert.

Das müssen Sie genauer erklären.
Das Christentum ist aus dem Judentum entstanden. Manchmal erschrecke ich, dass christliche Leute, die ich durch Israel führe, das gar nicht wissen. Paulus im Römerbrief im Neuen Testament sagt, dass Israel die Wurzel des Baumes und das Christentum die eingepfropften Äste sind. Wenn jetzt jemand die Wurzel (die Juden) vergiften und vernichten will, will er auch die Äste des Baumes vernichten. Von der Bibel her wissen wir, dass Gott mit den Juden Geschichte schreibt. Er beruft Abraham, führt ihn und das Volk ins gelobte Land, straft sie aber auch und zerstreut sie letztendlich durch die Römer in die ganze Welt. Aber nicht ohne ihnen die Verheissung mitzugeben, dass sie einst wieder in ihr Land zurückkommen sollen.

Viele sehen heute im Volk der Juden einen Gottesbeweis.
Das heisst auch, wenn man die Juden endgültig auslöschen könnte, wäre auch der Gott der Bibel ausgelöscht. Für den Islam ist es schwer zu begreifen, dass ausgerechnet die Juden in ein Gebiet kommen, dass lange Zeit unter islamischer Verwaltung stand. Nach den Vorstellungen des Islam darf das nie passieren.

Dann wäre eigentlich ist die Existenz Israel in Erez Israel eine Bankrott-Erklärung der islamischen Ideologie?
Das kann man so sehen. Und das zeigt, wie schwierig dieser Konflikt zu lösen ist.

Wie geht es jetzt weiter?
Israel muss und wird jetzt Stärke und Entschlossenheit zeigen. Reden und verhandeln wird weder der Hamas noch radikal islamischen Organisationen Eindruck machen. Israel wird dann die Schuldigen in der eigenen Regierung und im Militär zur Rechenschaft ziehen, welche diesen fatalen Überraschungsangriff der Hamas zu verantworten haben. Im Moment kümmern wir uns aber um die Angehörigen der Opfer und versuchen, Hilfe und Trost zu spenden.

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Autor: Daniel Zingg
Quelle: Aseba

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