Europa: Übernehmen «christliche Extremisten» die Macht?

Parlamentsgebäude mit Länderflaggen
Ein neuer Report aus Brüssel beklagt den wachsenden Einfluss konservativer Christen im Bereich Abtreibung und Gender-Ideologie. Ein Kommentar des «Christian Network Europe» (CNE) schaut kritisch dahinter. Sein Ergebnis: Desinformation.

«Liebe Christen, beklagt euch nicht länger. Ihr werdet immer stärker und habt unendlich viel Geld zur Verfügung. Die Gläubigen gefährden den säkularen Staat. Deshalb hat ein neuer Bericht aus Brüssel Alarm geschlagen.» So beginnt Evert van Vlastuin, Chefredaktor von CNE.news, seinen kritischen Kommentar des Brüsseler Reports, der den Titel trägt «Die nächste Welle: Wie religiöser Extremismus wieder an Macht gewinnt». Der Report wurde von Neil Datta, dem Leiter des EPF (Europäisches Parlamentarisches Forum für sexuelle und reproduktive Rechte), verfasst und Mitte Juni veröffentlicht. Das EPF ist ein Netzwerk von Abgeordneten aus den EU-Mitgliedstaaten, die sich mit sexuellen und reproduktiven Rechten befassen; es wird von Organisationen wie der Bill & Melinda Gates Foundation, IPPF (International Planned Parenthood Foundation) und Soros' Open Society finanziert. CNE kommentiert: «Bei diesen Geldgebern ist klar, wofür das EPF eintritt: freie Abtreibung als grundlegendes Menschenrecht. Und mehr noch: Dieses Menschenrecht sollte der Massstab für unsere Zivilisation sein.»

«Mächtige Geldgeber für Anti-Gender-Aktivisten»

Der EPF-Report identifiziert die Summe von 1,8 Milliarden (!) US-Dollar in fünf Jahren, mit denen offenbar in Europa «Anti-Gender-Aktivismus» gefördert wird. Drei Viertel davon stammen aus Europa, ein Fünftel aus Russland und neun Prozent aus den USA. «Mit all diesem Geld kann sich der `religiöse Extremismus` einen starken Einfluss erkaufen. Religiöse Organisationen betreiben nicht mehr nur Lobbyarbeit, sondern übernehmen ganze Institutionen, darunter Medienplattformen, Schulen und politische Parteien», heisst es in dem Report. Ungarn sei das Epizentrum dieser Anti-Gender-Koalition. Alles in allem sei die sexuelle Freiheit, die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau in einer «gefährlichen Phase». Darum der Alarm.

Undifferenziert und schwarz-weiss

In seiner Analyse des EPF-Reports kritisiert Evert van Vlastuin zunächst den Umgang mit gängigen Schlagworten: Zum einen werde nur der Begriff «Anti-Gender» definiert, andere Ausdrücke wie «demokratisch» und «anti-demokratisch», «religiöser Extremismus» oder «rechtsaussen» würden einfach undefiniert in den Raum gestellt. «Diese Art von Vokabular hat auch eine andere Seite», erklärt er: «In diesem Bericht gibt es keine Grautöne. Sie sind entweder schwarz oder weiß. Diese Welt ist einfach und nicht komplex.»

Alle über einen Leisten geschlagen

Weiter: «Der Bericht erweckt den Eindruck – auch wenn er das nie ausdrücklich sagt –, dass all diese Organisationen als eine Kraft zusammenarbeiten. Viele Christen würden sich wünschen, dass dies die Realität wäre, aber das ist nicht der Fall. Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall, was die Wirksamkeit der Aktivitäten bremst.» Es werden 270 Organisationen erwähnt, aber: «In diesem Bericht erfährt man nichts über die Ziele, die die Organisationen für sich selbst sehen. Man erfährt weder ihre Motive, noch ihre Weltanschauung oder sonst etwas. Sie sind einfach nur `anti`, was kurz gesagt bedeutet, dass sie gegen das sind, was die EPF will: freie Abtreibung und damit verbundene LGBT-Rechte.»

Unabhängig von den Realitäten in den verschiedenen Ländern: «Es wird suggeriert, dass Trump, Orbán und Putin im selben Boot sitzen und gemeinsam an der Schaffung einer schlechteren Welt arbeiten. Kurz gesagt: Wer gegen Abtreibung und LGBT-Rechte ist, muss pro-russisch und autoritär sein, heisst es in dem Bericht.»

Totalitäre Wortwahl

Neben sachlichen Ungenauigkeiten und Fehlern wirft van Vlastuin dem Report generell seine Wortwahl vor: «In dem Bericht wird über viele Pro-Life-Organisationen geschrieben, aber er nennt sie nie so. Das Wort, das verwendet wird, ist `Anti-Choice`. (…) Den anderen als `Anti-Choice` zu bezeichnen, ist eine Art Kampagnensprache, die von den Befürwortern der uneingeschränkten Abtreibung manchmal verwendet wird.» Klar ist: «Für die EPF ist `pro-choice` normativ und Standard. Jede Abweichung ist falsch und sogar gefährlich und muss de-legitimiert werden» – was in sich selbst keine freie Wahl bedeutet, sondern eine «fundamentalistische Position» ist, so van Vlastuin.  

Fazit

Evert van Vlastuin zieht sein eigenes Fazit des EU-Reports: «In dem Bericht werden Fakten präsentiert, die jedoch in eine vorgefasste Form gepresst werden. Die allgemeine Botschaft lautet, dass Christen und andere `religiöse Extremisten` eine Gefahr darstellen. Diese Behauptung ist jedoch überhaupt nicht bewiesen.

Der Bericht ist schnell mit Anschuldigungen, aber langsam mit Beweisen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der gesamte Bericht mit Fussnoten (die meisten davon sind Weblinks) gespickt ist. Der Report wird der Realität an vielen Stellen nicht gerecht.

Da der Bericht alles weiss oder schwarz macht und Nuancen auslässt, dient er nicht einer gesunden politischen Debatte, sondern bestenfalls einer populistischen Agenda - vielleicht nicht rechtspopulistisch, aber doch populistisch. 

Die Autoren beklagen sich über `Desinformation`. Ja, Desinformation gibt es, und dieser Bericht ist ein Paradebeispiel dafür.»

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christian Network Europe (CNE)

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