«Krisen schicken Junge in die Kirchen»
Titelmeldungen der Boulevardpresse gehören eigentlich immer in die Kategorien Sex, Gewalt, Sensation und Drama. Darum geht es meistens. Sehr selten schafft es eine positive, christlich geprägte Nachricht auf die Titelseite. Sie wird dann besonders wahrgenommen – nicht nur von frommen Menschen. Die BILD-Zeitung titelte am 20. April 2005 das ikonisch gewordene «Wir sind Papst!», als mit Joseph Kardinal Ratzinger der bisher einzige deutsche Papst gewählt wurde. Das kann man immerhin als Sensation werten, auch wenn es nicht ins übliche Raster der Regenbogenpresse passt. In Grossbritannien macht dagegen eine Bewegung von sich reden, die deutlich leiser daherkommt und deshalb oft als «Quiet Revival» bezeichnet wird, als stille Erweckung. Spätestens seit Ende Juli ist es mit der Stille vorbei, denn da machte der britische Sunday Express seine Titelseite mit der Meldung auf: «Global Crises Sending Gen Z to Church» – Weltweite Krisen schicken Junge in die Kirchen. Und der Artikel dahinter versucht zu erklären, warum gerade Millionen britische Angehörige der Gen Z zurück in die Kirchen strömen.
Eine echte Bewegung
Sam Richardson von der britischen Missionsgesellschaft SPCK unterstreicht diese Wahrnehmung auf dem Portal X: «Untersuchungen im laufenden Jahr haben festgestellt, dass junge Menschen sich seltener als Atheisten bezeichnen und dass der Kirchenbesuch sich seit 2018 verdoppelt hat.» Er schlussfolgert: «Teilweise kann dies als Rebellion gegen die säkularen Werte ihrer Eltern und Lehrer gewertet werden.» Die erwähnte Meldung im Sunday Express beschreibt ihren Leserinnen und Lesern das Phänomen auch statistisch: «Im Jahr 2024 füllten zwei Millionen Menschen mehr die Kirchenbänke als 2018 – wobei sich der Anteil der 18- bis 24-Jährigen der Generation Z auf wundersame Weise von 4 auf 16 Prozent vervierfachte. Sogar der Verkauf von Bibeln hat sich in Grossbritannien innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt.»
Der Express befragt führende Kirchenleiter der katholischen und anglikanischen Kirche dazu. Kardinal Vincent Nichols betont, dass die Gesellschaft zersplittert ist und gerade junge Menschen in ihrem Leben unter hohem Druck stehen. «Ich glaube, ab einem bestimmten Punkt kommen sie zu der Frage: ‚Wozu dient das alles eigentlich? Warum streng ich mich so sehr an? Es geht nicht nur um mein Bankkonto, das wird mir keine Zufriedenheit im Leben verschaffen. Ich brauche eine bessere Orientierung.’» Und sein anglikanischer Kollege Erzbischof Stephen Cottrell ergänzt: «Die Sehnsucht nach Sinn, Bedeutung und Verbundenheit zieht sie zu spirituellen Orten, an denen sie Gott begegnen und Gemeinschaft finden können. Das ist nicht nur ein vorübergehender Trend, sondern Teil eines umfassenderen, stilleren spirituellen Erwachens. Es gibt ein tiefes Verlangen nach Wahrheit und Zugehörigkeit, und die Kirche spielt eine wichtige Rolle dabei, dieses Bedürfnis zu erfüllen.»
Für den Hintergrund ist es dabei wichtig zu verstehen, dass die Kirche in England ähnlich krisengeschüttelt ist wie im restlichen Westeuropa. Mitgliederschwund und Missbrauchsskandale gibt es dort ebenso.
… und sie geschieht immer wieder
Ist diese Erweckung nur auf die britischen Grosskirchen begrenzt? Darauf antwortet der Evangelist Greg Downes bei Premier Christianity. Natürlich hatte er die Zeitungsmeldung wahrgenommen. Auch von der bereits länger propagierten «stillen Erweckung» hatte er gehört. Zunächst war er zurückhaltend. Schon zu oft wurde vollmundig von Erweckung gesprochen oder ein Aufbruch prophezeit, ohne dass sich etwas an der messbaren Abwärtsentwicklung der Kirchen geändert hätte. Das sieht er aufgrund seiner aktuellen Erfahrungen als Evangelist jetzt anders. Wenn Downes Sätze hört wie: «Ich glaube, dass viele Menschen, insbesondere die jüngere Generation, nach etwas Tieferem suchen, etwas, das über den Lärm des Alltags hinausgeht», dann erklärt er, dass er bei seinen Veranstaltungen und in Gesprächen genau das erlebt: «Ich kam mit einem 20-jährigen Mann ins Gespräch und erzählte ihm vom Evangelium. Er betete, um Christus anzunehmen, und als er vom Heiligen Geist erfüllt wurde, sagte er: ‘Ich fühle mich frei.’ Später schrieb er mir auf WhatsApp: ‘Ich habe gebetet. Ich fühle mich gerade so verbunden mit Gott.’» Downes betont, dass dies kein Einzelfall ist, Ähnliches erlebt er bei vielen Gelegenheiten. Der Artikel im Sunday Express schliesst mit der Aussage: «Kardinal Vincent Nichols und Erzbischof Stephen Cottrell von York beschreiben auf unseren Seiten das spirituelle Erwachen, das sie heute beobachten. Dies kann nur ein Segen für die Nation sein.» Greg Downes urteilt für England: «Meiner Meinung nach hat der Sunday Express damit vollkommen Recht!»
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