Glück da finden, wo es ist
Ich war dieses Jahr bereits im Urlaub. Im nördlichsten Teil von Norddeutschland, kurz hinter dem Deich. Das Wetter war ungefähr so, wie es das Klischee will: kühl, regnerisch und sehr gegenwindig. Da meine Frau und ich viel mit den Fahrrädern unterwegs sein wollten, war das nicht ganz unwichtig. Als ich mich an einem Vormittag bei Windstärke 7 mit dem Rad im Marschland vorankämpfte, musste ich plötzlich lachen: Es war wunderbar! Mir wurde klar, dass ich überhaupt nicht an die Schwierigkeiten dachte, die ich noch eine Woche vorher daheim hatte. Ich verschwendete auch keinen Gedanken an die Arbeit, die mich in der Woche nach meinem Urlaub in meiner Selbstständigkeit erwarten würden. Ich war einfach da. Radelte ganz im Hier und Jetzt durch die platte Landschaft im Norden und genoss den endlosen Himmel, der sich über mir ausbreitete – Gott war spürbar da.
Perspektivwechsel
Was hatte sich geändert? Es war immer noch «zu kalt für die Jahreszeit», wie der Wetterbericht täglich verkündete. Das Meer war immer noch mal da und mal weg – wie das am Watt eben ist. Meistens ist es weg. Aber ich hatte mich dazu entschlossen, das Durchgepustet-Werden als das zu sehen, was es war: als Glück. Es war kein sensationelles Glück, aber es hat mich erfüllt, mit offenen Augen und Ohren durch den Tag zu gehen. Schafe zu sehen. Die Austernfischer zu beobachten. Mich anzustrengen und vorwärtszukommen. Dem Zaunkönig neben unserer Ferienwohnung zuzuhören. «Vatermal» von Necati Öziri zu lesen und «Ósmann» von Joachim Schmidt. Abends die Sauna einzuschalten und genüsslich zu schwitzen. Und immer wieder den unendlich weiten Himmel zu bestaunen.
War ich glücklich? Ja, tatsächlich, ich war glücklich, weil ich nicht auf der Suche nach dem nächsten Kick war, sondern feiern konnte, was vorhanden war. Immer wieder sprach ich auf meinen Radtouren darüber mit Gott. Das funktionierte wunderbar beim Fahren. Und wenn ich bei einer der – meist offenen – mittelalterlichen Dorfkirchen Pause machte, setzte ich mich gern hinein und tankte in der besonderen Atmosphäre der nordfriesischen Kirchen auf.
Von Gott überraschen lassen
Ich bin ein ergebnisorientierter Mensch. Das hilft mir, mich zu fokussieren und Ziele auch zu erreichen. Aber manchmal steht es mir auch im Weg. Denn Glück lässt sich nicht einplanen und managen. Ich kann schlecht in meinen Terminer eintragen: «Montag, 10–12 Uhr: glücklich sein». Aber ich kann mich immer wieder von Gott überraschen lassen. Durch Wind und einen endlosen Himmel im Urlaub. Aber auch durch kleine Begegnungen und Segnungen mitten in meinem Alltag.
«Gott nahe zu sein ist mein Glück» hat der Psalmdichter Asaf einmal behauptet. Recht hat er! Und das Gute ist, dass es nicht nur darum geht, dass ich mich deshalb nahe zu Gott halte. Oft reicht es schon, die Augen offenzuhalten dafür, dass Gott mir nahekommt. Dass er mich überrascht mit seiner Gegenwart und einer Portion Glück. Egal, ob das durch ein Lobpreislied geschieht oder das abendliche Ständchen einer Nachtigall. Ich kann versuchen, dem Glück nachzujagen. Ich kann es aber auch einfach da finden, wo es ist.
Zum Thema:
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Der glücklichste Verlierer: Vom Glück und wo es zu finden ist
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