Mit dem «Schweizer Gott» zurück in die Heimat
Die «Mission am Nil» (MN) setzt sich als Hilfswerk dafür ein, die Lebensbedingungen benachteiligter Menschen in Ländern entlang des Nils nachhaltig zu verbessern. Mit ihrer Arbeit möchte sie ebenso Hoffnung und den christlichen Glauben wecken und stärken. MN entstand um 1900, wobei die Projekte bis heute diese Anliegen in den Bereichen Bildung, Ernährung, Gesundheit und Frieden/Versöhnung weitertragen. Die Anfänge hat die Organisation einem Ägypter zu verdanken, der in der Schweiz Gott gefunden hatte und mit ihm zu seinen Familienwurzeln zurückkehrte. Aus der kleinen Pflanze entstanden sinngemäss Plantagen in sechs Ländern: Ägypten, Sudan, Eritrea, Äthiopien, DR Kongo und Tansania.
Mitarbeiter Mathias Rellstab erklärt: «In Äthiopien beispielsweise gelten Menschen mit Behinderung nicht viel. In unsrem Ausbildungszentrum in Addis Abeba, ist es immer eine Freude mitzuerleben, wenn Vorurteile weichen. Wenn Gehörlose eine Lehre als Schreiner machen und danach problemlos eine Stelle finden, weil sie fachlich gut qualifiziert sind; oder wenn Blinde, die zuvor nicht einmal lesen und schreiben konnten, nach jahrelanger Begleitung die Universität abschliessen und danach als Anwalt, Lehrerin oder Sozialarbeiter arbeiten.»
Livenet war mit Mathias Rellstab (46), Verantwortlicher Kommunikation und Fundraising, im Austausch.
«Ich will den Gott kennenlernen, der solche Liebe möglich macht»
Welches waren die besonderen Herausforderungen in den Gründerjahren?
Mathias Rellstab: Damals wurde in Ägypten die «Sudan-Pionier-Mission» gegründet, um den Menschen praktische Hilfe und die frohe Botschaft zu bringen. Daraus entstand die MN. Der erste einheimische Mitarbeiter war ein ehemaliger Muslim, der noch im Kindesalter unter abenteuerlichen Umständen in die Schweiz gelangte. Hier entdeckte er nach einer schweren Krise den christlichen Glauben. Von der Liebe und der inneren Freiheit wollte er auch seinen Landsleuten berichten. So kehrte Samuel Ali Hussein als Erwachsener nach Oberägypten zurück. Obwohl ihm seine Heimat völlig fremd geworden war, wirkte er mit einer Hingabe, Ausdauer und Opferbereitschaft, die mich immer wieder aufs Neue beeindruckt. Von Anfang an war das Lindern von Nöten eine wichtige Grundlage der Missionsarbeit, etwa mit Schulen oder Krankenstationen.
Wie wurde der geografische Fokus gesetzt?
Von Ägypten aus entwickelte sich die Arbeit nilaufwärts. Stets spielten dabei persönliche Beziehungen eine Rolle, die Gottes Führung erkennen lassen. Hier ein Beispiel: Samuels Tochter Mariam heiratete Albert Hamilton, der später Direktor der Bibelgesellschaft in Khartum wurde. Auf Dienstreisen nach Äthiopien lernte dieser Haile Selassie, den äthiopischen Kaiser, kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Freundschaft, die der Mission am Nil später den Weg nach Äthiopien und Eritrea öffnete.
Was waren ihre zwei Projekt-Highlights der vergangenen Jahre?
Obwohl der Ostkongo ständig von Krieg und anderen Krisen durchgeschüttelt wird, konnte unser dortiger Partner im vergangenen Jahr das seit 2002 bestehende Berufsbildungszentrum ausbauen. Das ist für uns ein Wunder. Nun werden bis zu 150 junge Frauen und Männer, die sonst arbeitslos wären und keine Perspektive hätten, als Schneiderin, Schreiner, Automechanikerin oder Maurer ausgebildet.
In Tansania verlief die Einführung von «Farming God’s Way» sehr vielversprechend – eine Schulung für Bio-Landwirtschaft nach einfachen, klaren, in der Bibel verwurzelten Prinzipien. Wir erleben, wie junge Menschen, die oft aus schwierigen Situationen kommen, aufblühen und aus ungesunden Abhängigkeiten befreit werden.
Wie ist die Mission am Nil heute aufgestellt?
Wir setzen uns in den Projektländern vor allem für Personen am Rand der Gesellschaft ein, die keine Stimme haben, wie Menschen mit Behinderung, Geflüchtete oder junge Frauen in einer Notlage. Wichtig ist uns, dass alle Projekte in Afrika initiiert und geleitet werden. Der Wille zur Veränderung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, müssen vor Ort vorhanden sein, sonst ist keine nachhaltige Arbeit möglich. Wir unterstützen die Projekte von der Schweiz finanziell und strategisch. Zudem entsenden wir punktuell Einsatzleistende, zum Beispiel medizinisches Personal, Handwerker oder Landwirte. In einzelnen Bereichen sind auch Zivildiensteinsätze möglich, was für junge Menschen interessant ist.
Welche Ziele für die nächsten Jahre hat MN?
Wir wollen die Friedens- und Versöhnungsarbeit, die wir in den letzten Jahren ausbauen konnten, weiter fördern. Denn Frieden, auch mit Gott, ist die Grundlage für jede nachhaltige Entwicklung. Die Länder DR Kongo, Sudan und Äthiopien gehören laut «Fragile States Index» zu den zwölf instabilsten der Welt. Im Sudan ist die medizinische Arbeit seit April 2023 wegen des Krieges unterbrochen; wir möchten sie wieder aufbauen, sobald es die Situation zulässt. In Ägypten steht eine Spitalerweiterung an, die es zu finanzieren gilt. In allem, was wir tun, sind wir von Gottes Hilfe und seiner Führung abhängig. Er hat die Mission am Nil in den letzten 125 Jahren getragen und wird das auch weiterhin tun.
Schildern sie uns gerne noch ein paar Hoffnungsberichte...
In Tansania begann die 16-jährige Keshia (Name geändert) die landwirtschaftliche Ausbildung. Sie wirkte traurig und verschlossen, denn sie kam aus einer zerbrochenen Familie und brachte einen schweren emotionalen Rucksack mit. In unserem Ausbildungszentrum wurde sie liebevoll aufgenommen. Durch die schulische und seelsorgerliche Begleitung begann sie langsam aufzublühen. Eines Tages bat sie den Leiter des Zentrums um eine Bibel und sagte, sie wolle in ihrer Freizeit darin lesen. Auf die Frage, warum sie das möchte, antwortete sie: «Weil Sie mich wie Ihre eigene Tochter behandelt haben. Ich habe echte Liebe gespürt – und ich will den Gott kennenlernen, der solche Liebe möglich macht.»
Unser Spital in Oberägypten behandelt auch Geflüchtete aus dem Sudan. Darunter war eine Mutter und ihr neugeborenes Baby mit Atemproblemen. Auf der Intensivstation wurde das Kind beatmet und professionell betreut. Das Team betete auch immer wieder für den Kleinen. Schon am zweiten Tag konnte die Beatmungsaktivität reduziert werden, und nochmals vier Tage später konnte die überglückliche Mutter ihr Baby mit nach Hause nehmen.
Vom 4. bis 6. Juli 2025 wird in Mettmenstetten (ZH) mit der Jubiläums-Konferenz «Geschichten der Hoffnung» das 125-jährige Bestehen gefeiert. Weitere Details zum Jubiläum und allgemeine Hintergrundinfos auf der Website.
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