«Dann bauen wir eben noch eine Kirche»
Gheorghe hatte gerade seine theologische Ausbildung abgeschlossen und wollte in Ungheni in Moldau Gemeinde bauen – vorhanden war noch nichts. Natascha absolvierte im gleichen Gemeindeverband ein Praktikum und kam zum Helfen dazu. Er war der Mann für die Vision und sie die Frau fürs Praktische. Sie lernten sich kennen und lieben und sind inzwischen seit 25 Jahren verheiratet. In dieser Zeit wuchs nicht nur ihre Familie um sechs Kinder an, sondern sie bauten Gemeinde – völlig anders, als ihr Verband das eigentlich geplant hatte. Dort wollte man Gheorghe lieber in einer bestehenden Pfingstgemeinde hinter die Kanzel stellen. Wenigstens sollte er in der Stadt bald eine «normale» Kirche bauen. Doch nach kürzester Zeit war es dem Pastorenehepaar klar, dass «normal» nicht ihr Weg war. Sie sahen um sich herum Menschen, die Jesus brauchten, und sie sahen Menschen, die nicht genug zu essen hatten. Beides liess sich nicht in Ruhe und motiviert sie bis heute.
Gemeindehaus mit Bäckerei
Die ersten Gottesdienste der Freikirche fanden im Wohnzimmer von Natascha und Gheorghe statt. Nachbarn liessen sich einladen, kamen zum Gottesdienst, blieben zum Essen und fanden zum Glauben. Dann traf sich die entstehende Gemeinde in einer Schule, bis es hiess: «Wir dürfen die Klassenzimmer nicht mehr für religiöse Veranstaltungen zur Verfügung stellen.» – «Und was ist mit dem Flur?» – «Das ist nicht verboten…» Also trafen sie sich im Schulflur, der allerdings im Winter nicht beheizbar war. Ein schwedischer Christ, der die Gemeindegründungsarbeit besuchte, wollte ihnen ein Gebäude finanzieren. Sie hätten ein nettes Haus kaufen können, das für ihren aktuellen Bedarf reichte, oder ein vierstöckiges Stadthaus, das nicht fertig gebaut war – eine typische osteuropäische Bauruine. Sie entschieden sich für die Bauruine, weil dort im wahrsten Sinne «Luft nach oben» war.
Bald versammelte sich die Gemeinde im zweiten Stock in ihrem eigenen Saal. Im Erdgeschoss war nicht nur Raum für Begegnung und Kinderprogramme, sondern auch für Nataschas Traum: eine Bäckerei. Als Sergiu von dieser Idee hörte, war er begeistert. Das wollte er umsetzen. Der ehemalige Bahnangestellte war zum Glauben gekommen, als sein Sohn in der Kirche geheilt wurde. Nun wollte er sich ganz für Jesus einsetzen. Er lernte backen – und heute steht er mehrmals pro Woche in der professionellen Bäckerei der Gemeinde und backt rund 400 Brote, die er an Menschen verschenkt, die sie brauchen.
Auch der Rest des Gemeindehauses ist eher untypisch: Der Gottesdienstsaal wird regelmässig geräumt, um ein Umsonst-Kleidergeschäft darin aufzubauen. Hier können sich Familien das holen, was sie benötigen. Meist ist das Angebot nach drei Tagen «ausverkauft», doch bald danach öffnet der Laden wieder. In den oberen Stockwerken befinden sich ein Hotel und ein Fitnessstudio. «Erst dachten wir, dass uns das Geld einbringt, das wir in die Arbeit stecken könnten», erklärt Gheorghe. «Doch inzwischen nutzen wir beides, um Menschen Arbeit zu geben, die damit ihre Familien ernähren können.»
Rehazentrum für Männer
Die eigentliche Gemeindearbeit besteht praktisch nur aus dem wöchentlichen Gottesdienst. Ein tägliches Programm für die eigenen Mitglieder gibt es nicht. Doch viele engagieren sich und besuchen Familien und Einzelne, die Hilfe benötigen. Dabei wurde ein Thema immer deutlicher: Alkohol und Drogen sind in Moldau ein grosses Problem. So begann Gheorghe in einem Städtchen, wo bereits eine Zweiggemeinde entstanden war, eine Reha-Arbeit. Finanzielle Unterstützung vom Land oder der Stadt kann er dafür nicht erwarten, doch längst ist der Geheimtipp keiner mehr: Rund ein Dutzend Männer leben in einer Wohngruppe zusammen, gestalten hier ihren Alltag, arbeiten zusammen, üben Strukturen ein und erleben, dass Gott frei macht. Mit Unterstützung einer US-Kirche und des Hilfswerks GAiN konnte die Gemeinde dafür ein Haus zur Verfügung stellen.
Kinder und Senioren im Blick
Es ist kein Geheimnis, dass die Schwächsten der Gesellschaft am stärksten leiden. Die Häuser an den verschiedenen Standorten der Gemeinde sind deshalb wochentags Anlaufstellen für die Menschen in der Umgebung. Swetlana, Vika, Luda und viele andere Frauen sind meist ab dem frühen Mittag dort. Dann kommen fünf, zehn oder zwanzig Kinder und bekommen etwas zu essen, anschliessend gibt es Hausaufgabenhilfe, ein Spielprogramm und biblische Geschichten.
Nebenbei organisieren die Frauen Schuhe für die Kinder, die immer barfuss kommen und helfen, wo sie können. «Du bist wie eine Mama für mich» hören sie immer wieder – es ist das grösste Lob, was sie bekommen könnten. Die Alten können sich nicht mehr selbst auf den Weg machen, doch sie werden regelmässig besucht. Sascha kennt sie alle und zeigt ihnen durch seine Besuche, dass weder Menschen noch Gott sie vergessen haben. Weil es immer mehr in immer weiter auswärts liegenden Dörfern werden, hat Gheorghe entschieden: «Wir brauchen eine Seniorenwohnanlage. Dort können sie Gemeinschaft haben und wir erreichen sie leichter.»
Ein Visionär der kleinen Schritte
Visionäre wir Gheorghe gibt es viele, doch nur wenige setzen ihre Ideen auch um. Das Pastorenehepaar in Moldau ist gut vernetzt, sie erhalten aus vielen Teilen der Welt Unterstützung, nicht zuletzt vom eigenen Gemeindeverband, aber trotzdem ist jede Idee eine Herausforderung mit offenem Ende. Gheorghe meint dazu nur: «Geld war noch nie ein Problem für Gott.» Er träumte seit Jahren von vielen Gemeinden in den umliegenden Dörfern, die die Arbeit der Muttergemeinde in Ungheni ergänzen – 15 sind es inzwischen, allein dieses Jahr sind drei dazugekommen. Und das Seniorenheim? Es ist noch nicht finanziert, aber das Grundstück ist bereits planiert und vorbereitet. «Die Menschen hier brauchen Hilfe, aber in erster Linie brauchen sie Gott. Deshalb sind wir hier. Und wenn Gott eine Tür öffnet, dann bauen wir eben noch eine Kirche.»
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