Holocaust überlebt: Er weigerte sich zu hassen

Sholmo Graber
Mit 99 Jahren ist gerade der Schweizer Künstler, Autor und Holocaustüberlebende Shlomo Graber verstorben. Er überlebte drei KZ und einen Todesmarsch. Trotzdem folgte er dem Rat seiner Mutter. «Liebe ist stärker als Hass.»

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich scheint kein besonders zeitgemässer Unterrichtsinhalt zu sein, doch wenn Shlomo Graber irgendwo eine Schule besuchte, hörten die jungen Menschen gebannt zu. Lag es daran, dass er packend erzählen konnte? Daran, dass er bei aller Härte seiner Erlebnisse in drei Konzentrationslagern nie in Gewaltdarstellungen steckenblieb? Oder daran, dass er unermüdlich verkündete: «Hass vergiftet die Seele!» Deshalb hatte er sich schon früh dafür entschieden zu lieben. In einem seiner Bücher beschreibt er, dass er nach der Befreiung aus dem KZ sein letztes Brot mit einer jungen deutschen Mutter mit Kind teilte. «Ich wollte nicht sein wie die Nazis und jemanden hassen, der mir nichts getan hatte», begründete er dies. Am 24. August 2025 verstarb Shlomo Graber in Basel im Alter von 99 Jahren.

In der Hölle von Auschwitz

Sholmo Graber am Malen

Shlomo Graber kam 1926 im galizischen Städtchen Majdan zur Welt und wuchs mit seinen Geschwistern in Ungarn auf. Die ganze Familie wurde als «staatenlos» von den Nazis erst nach Polen deportiert und dort schliesslich nach Auschwitz ins KZ gebracht. An der Rampe ins Lager wurde selektiert. Shlomo und sein Vater taten so, als wären sie gelernte Schlosser. Einen kurzen Test mit einer Schieblehre bestanden sie. So wurden sie zu den übrigen Arbeitern gebracht. Die typische Tätowierung mit einer Häftlingsnummer erhielt der 18-jährige Shlomo nicht: Er wog zu wenig. Weil er sowieso sterben würde, war es den Nazis den Aufwand nicht wert. Stattdessen erhielt er einen Stofffetzen mit seiner Nummer: 42649. Beim Selektieren wurden Vater und Sohn vom Rest der Familie getrennt. Shlomo sah seine Mutter Hana, seinen Bruder Dov (13), seine Schwester Lili (12) und seine Brüder Itzhak und Levy (9 und 7) nie wieder. Er und sein Vater arbeiteten um ihr Leben. Sie schleppten Zement, gossen Betonrohre und magerten bis zum Skelett ab, aber als die Rote Armee das Lager in Görlitz befreite, in dem sie inzwischen gelandet waren, konnten sie die Soldaten mit Küssen begrüssen – sie lebten.

Von Israel in die Schweiz

Shlomo Graber wanderte 1948 nach Israel aus. Doch schon in der Zeit vorher war er dem Rat seiner Mutter gefolgt, die ihm immer gesagt hatte: «Liebe ist stärker als Hass.» Es wurde sein Lebensmotto. In Israel ging er zunächst zum Militär, doch der Pazifist aus Überzeugung gab dort keinen einzigen Schuss ab. Später bekam er eine Stelle als Einkäufer bei einer Elektronikfirma, die er nach einer Weile als Inhaber übernahm. Graber gründete eine Familie und lebte viele Jahre in Israel. Auf einer Geschäftsreise in die Schweiz lernte er seine zweite Frau Myrtha kennen und zog 1989 zu ihr in die Schweiz. So wurde Basel zu seiner Wahlheimat. Dort widmete sich Graber wie sein Grossvater und seine Mutter der Malerei. Seine Bilder zeichnen sich einerseits durch ihre jüdische Symbolik aus, andererseits durch ihre leuchtenden, hellen Farben. Ohne seine Herkunft oder die düsteren Erfahrungen zu ignorieren, wirken sie rundherum positiv.

Unterwegs in Schulen

Nach einem Interview mit einer hebräischen Tageszeitung in der 1980er-Jahren begann Graber, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Ein früher Entwurf ist über seine Internetseite abrufbar. Ab 2001 veröffentlichte er sie in mehreren Büchern – zuletzt «Der Junge, der nicht hassen wollte». Als Holocaustüberlebender war er 25 Jahre lang gern gesehener Gast im Fernsehen, bei Veranstaltungen und vor allem in Schulen. Hierhin trug er seine Botschaft der Versöhnung und Hoffnung am liebsten. Mit weit über 90 prägte er noch Menschen mit seiner Auffassung, dass Hass und Extremismus sich nie auszahlen würden. Graber bezog sich dabei nicht auf die Bibel, doch der Jude Saul von Tarsus, den wir heute meist als Paulus kennen, war einer Meinung mit ihm, wenn er unterstrich: «Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!»

Zum Thema:
«Am Ende findest du dein Ziel»: Als Holocaustüberlebender versöhnt mit der Vergangenheit 
Verwundete Kindheit: Alexej Heistver: Ein Leben gegen das Vergessen   
Holocaust-Überlebende: «Ohne Jesus hätte ich das nicht geschafft»

Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung