Der Erkenntnis-Booster

Kind mit Feldstecher
Viele Menschen meinen, eine tiefere Gotteserkenntnis würden sie am ehesten in der Stille und im Rückzug gewinnen. Das ist möglich, aber durchaus nicht der einzige Weg, wie die Evangelien eindrucksvoll beschreiben.

In östlichen Religionen ist das Bild des weisen Einsiedlers weit verbreitet. Er lebt irgendwo fernab in einer Höhle und die Menschen suchen ihn in seiner Einsamkeit auf, um Wegweisung von ihm zu bekommen. Wer jetzt ausschliesslich an Buddhismus denkt, greift zu kurz. Schon in den Frühzeiten der Kirche gab es die sogenannten Wüstenväter, die eine Vorform des mönchischen Lebens praktizierten, und regen Zulauf von Erkenntnissuchern hatten. Und heute? Da ziehen sich viele Menschen, die vor Entscheidungsfragen stehen, für eine Retraite ins Kloster zurück. So sinnvoll das ist, so überraschend mag es klingen, dass die grösste Erkenntnis, die die Freunde von Jesus je formulierten, direkt aus dem Stress heraus entstand.

In Lukas, Kapitel 9, Vers 18 bis 21 wird berichtet: «Und es geschah, als er einmal für sich allein betete, dass die Jünger in seiner Nähe waren; und er fragte sie und sprach: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten und sprachen: Für Johannes den Täufer; andere aber für Elia; und andere sagen, einer der alten Propheten sei auferstanden. Da sprach er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Da antwortete Petrus und sprach: Für den Christus Gottes! Er aber ermahnte sie ernstlich und gebot ihnen, dies niemand zu sagen.»

Guter Stress mit Jesus

Wo ist hier von Stress die Rede? Heisst es nicht, dass Jesus für sich allein betete? Schon, aber direkt davor geschah Folgendes: «Er [Jesus] rief aber seine zwölf Jünger zusammen und gab ihnen Kraft und Vollmacht über alle Dämonen und zur Heilung von Krankheiten; und er sandte sie aus, das Reich Gottes zu verkündigen und die Kranken zu heilen.» (Lukas, Kapitel 9, Vers 1-2) Genau das tun die Jünger. Sie sind eine ganze Weile beschäftigt mit dem, was man heute einen Missionseinsatz nennen würde: Sie übernachten bei Gastfamilien, suchen den ganzen Tag über Kontakte zu Menschen und das Gespräch mit ihnen und das dauert jeweils bis in den späten Abend. Dabei beten sie für Kranke, predigen und erleben, dass Gott handelt. Offensichtlich ist es eine erfüllende, aber auch eine volle Zeit für sie.

Im Anschluss daran heisst es: «Und die Apostel kehrten zurück und erzählten ihm alles, was sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich und zog sich zurück an einen einsamen Ort bei der Stadt, die Bethsaida heisst.» (Vers 10) Die Jünger haben weder sportliche Höchstleistungen vollbracht noch so hart körperlich gearbeitet, wie sie es sonst im Beruf gewohnt sind, aber sie sind trotzdem fertig. Fröhlich, erfüllt und absolut müde. Glücklicherweise hat Jesus einen Kurzurlaub für sie im Betsaida Wellness Resort gebucht. Leider finden sie dort nicht die erwartete Ruhe, denn ihr Aufenthaltsort hat sich herumgesprochen: «Als aber die Volksmenge es erfuhr, folgten sie ihm nach; und er nahm sie auf und redete zu ihnen vom Reich Gottes, und die, welche Heilung brauchten, machte er gesund.» (Vers 11).

Und wieder sind die Jünger gefragt. «Gebt ihr ihnen zu essen», erklärt ihnen Jesus und macht sie verantwortlich für das Catering für Tausende Menschen. Es folgt die Speisung der 5'000. Ist das stressig? Absolut! Aber manchmal ist es gut, solchen Stress mitzuerleben und nicht zu schnell zu sagen: «Hilfe, das artet ja in Arbeit aus. Das lasse ich lieber…» Sicher ist es nicht gut, sich in frommem Aktionismus kaputtzuarbeiten, aber man kann sich auch in frommer Faulheit kaputtschonen. Die Jünger erleben jedenfalls guten Stress mit Jesus.

Zusammen schwitzen – zusammen erleben

Nach diesen anstrengenden Erlebnissen zieht sich Jesus mit seinen Jüngern endgültig zurück (siehe oben). Er unterstreicht damit, dass es nicht darum geht, die Betriebsamkeit aufrechtzuerhalten. Pausen sind gut und sinnvoll. Nicht nur, um sich wieder zu regenerieren, sondern auch, um das Erlebte noch einmal zu besprechen, denn die Jünger haben sich nicht nur für Jesus eingesetzt, sie sind Menschen begegnet, die auf sie reagiert oder sich verändert haben, sie haben selbst gehandelt – manchmal richtig und manchmal falsch –, sie haben viel Schönes gesehen, aber auch in Abgründe geblickt. Solch ein Reflektieren ist nötig, um das Erlebte richtig einzusortieren, damit daraus nicht nur ein Ereignis wird, das man überstanden hat, sondern ein Erlebnis, das einen prägt.

Was sagen denn die anderen?

Jesus kurbelt dieses Erleben auf eine besondere Art an. Er sucht das Gespräch mit den Jüngern und fragt sie dann nicht:

  • Wie ging es dir beim Predigen?
  • Was war die schwerste Situation, die du erlebt hast?
  • Würdest du wieder im gleichen Team losziehen?

Stattdessen lenkt er den Blick auf sich und fragt seine Freunde: «Für wen halten mich die Leute?» (Vers 18) und ergänzt: «Ihr aber, für wen haltet ihr mich?» (Vers 20) Was haben die Leute damals gedacht? Sie halten Jesus für Johannes den Täufer – eine klare Verwechslung. Sie halten ihn für Elia, weil es von dem im Alten Testament heist: «Siehe, ich sende euch den Propheten Elia, ehe der grosse und furchtbare Tag des Herrn kommt.» (Maleachi, Kapitel 3, Vers 23). Bis heute erntet man eine ähnliche Vielfalt an Meinungen, wenn es um Jesus geht. Das ist völlig normal, wenn man nicht nur als Frommer zu Frommen spricht. Spannend wird es, wenn dabei das eigene Denken und Erleben in Bewegung kommt wie hier bei den Jüngern. Wer gemeinsam schwitzt und schwätzt, arbeitet und isst, beim Beten zuhört und es dann auch noch selbst probiert, der verändert sich.

Endlich erkannt

So ist es eigentlich keine Überraschung, dass bei den Jüngern eine neue Erkenntnis wächst. Petrus fasst am Schluss zusammen, für wen sie Jesus halten: «Für den Christus Gottes!» (Vers 20) Diese Aussage zeigt die tiefste Erkenntnis, die die Jünger gewonnen haben. Mehr ging nicht. Mehr geht auch bis heute nicht. Jesus, das ist der Christus, der Auserwählte, der Retter, MEIN Retter. Das hat Petrus erkannt und wahrscheinlich auch alle anderen – nur Petrus als Sprecher der Gruppe spricht mal wieder aus, was alle meinen.

Woher kommt diese Erkenntnis? Matthäus unterstreicht in seinem Evangelium: «Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Sohn des Jona; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater im Himmel!» (Matthäus, Kapitel 16, Vers 17) Aber dieses Geschenk der Erkenntnis kommt, nachdem die Freunde von Jesus sich gemeinsam auf den Weg machen und anderen Menschen helfen, ihnen von Jesus erzählen und richtig im Stress sind. Es wächst nicht in beschaulicher Stille. Gleichzeitig ist da noch so viel ungeklärt bei ihnen, dass Jesus meint: «Ihr liegt völlig richtig, behaltet es aber lieber noch für euch.» Erkenntnis ist keine Briefmarke, die ich gewinne und in mein Sammelalbum einklebe, sie wächst in der Beziehung zu Gott, im Miteinander mit Menschen und mitten in Alltag und Stress. Noch einmal: Wir brauchen Ruhepausen, aber Erkenntnis ist auch mitten im Trubel möglich.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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