«Ich weiss, wie sich Suizidgedanken anfühlen…»

Raffaela Turchi
Die Juristin Raffaela Turchi aus Zürich wollte Karriere machen und sich beruflich für Gerechtigkeit einsetzen. Heute bietet sie Menschen im Quartier-Café der reformierten Kirche Zürich-Hirzenbach ganz praktisch da Unterstützung an, wo Not herrscht.

«Ich bin als Einzelkind aufgewachsen und wurde von meinem Vater sehr kontrolliert», schaut Raffaela Turchi-Gazzola zurück. «Ich fühlte mich nicht zugehörig, leer, als Teenager suchte ich nach dem Sinn des Lebens und litt an der Ungerechtigkeit der Welt.» Als sie der Mutter davon erzählte, meinte diese nur: «Ach, das ist normal in deinem Alter.» Immer wieder plagten Raffaela jedoch auch Suizidgedanken. «Als junge Frau wollte ich ein Mann sein – die schliessen sich zusammen. Als Mädchen fühlte ich mich schwach, gehörte nicht dazu…», erinnert sie sich.

Sie entschloss sich, Jura zu studieren, um sich für Gerechtigkeit einzusetzen. «Ich wollte eine starke Frau sein, eine berühmte Anwältin oder Botschafterin, welche die Welt verändert.» Doch obwohl sie zu 600 Kommilitonen gehörte, fühlte sie sich einsam. Während eines Studienjahrs in Siena kam sie mit Südländern in Kontakt, hier ging es ihr psychisch besser. Doch bis sie 27 Jahre alt war, wurde sie immer wieder von Suizidgedanken geplagt, suchte mehrmals psychologische Hilfe. Sie bekam ein paar hilfreiche Werkzeuge an die Hand, doch frei von den schweren Gedanken wurde sie nicht.

Ich will mehr Gerechtigkeit!

Als junge Juristin arbeitete Raffaela am Gericht einer Landgemeinde. «Ich erkannte bald, dass es einigen Anwälten gar nicht um die echten Bedürfnisse der Klienten geht, sondern um ihre persönliche Karriere…» Enttäuscht zog sie nach Buenos Aires, wo sie an der Schweizer Botschaft ein Praktikum absolvierte mit dem Ziel, später als Botschafterin tätig zu werden. Doch die Hoffnung, so zu mehr Gerechtigkeit in der Welt beitragen zu können, wurde auch hier zerschlagen. Verzweifelt stand sie auf dem Balkon ihrer Wohnung im 9. Stock und wollte sich hinunterstürzen. «Doch etwas hielt mich zurück, und ich spürte etwas Dunkles von unten nach mir rufen…» Sie verliess den Ort der Versuchung, wollte niemandem zumuten, ihre zerschmetterte Leiche zu bergen.

In ihrer Not erinnerte sich die 27-Jährige an eine ehemalige Kollegin der Kantonsschule, die an der Klassenzusammenkunft mit einer Tasche herumgelaufen war, auf der stand: «Creator of the Universe – I praise you». Auf der Onlinesuche nach dieser Frau stiess sie auf Internetseiten, die vom Glauben an Jesus berichten. Bei WunderHeuteTV wurde sie aufgefordert, ihn ins Leben einzuladen. «Ohne gross nachzudenken habe ich am 3. Oktober 2007 so ein Gebet nachgesprochen, ganz allein, in meinem Zimmer.» Dazu folgte Raffaela dem Rat: «Suchen Sie jeden Tag den Kontakt mit Gott», und kniete auf dem Heimweg von der Arbeit jeweils in einer kleinen Kirche nieder, wo sie mit Jesus sprach. Als sie Gläubige kennenlernte, die sich um Strassenkinder kümmerten, unterstützte sie deren Engagement durch Aufgabenhilfe und in einem Feriencamp am Meer. Hier bestätigte sie ihr Ja zu Jesus nochmals vor Zeugen.

Weiter auf der Suche

Schliesslich setzte sie den Tipp ihres Vorgesetzten um, in die Heimat zurückzukehren – dort könne sie mehr bewirken als in Argentinien. In der Schweiz arbeitete sie dann für eine Arbeitsvermittlung und besuchte einen Alphalive Kurs: «Hier wurden mir alle Fragen beantwortet, die mich beschäftigten.» Sie erlebte: «Wer Gott sucht, dem offenbart er sich.» Raffaela schloss sie sich einer Pfingstkirche an, engagierte sich als Freiwillige hier, und studierte später berufsbegleitend am IGW Theologie.

Langsam wuchs der Wunsch nach einem Ehepartner und Kindern. Auf einem Gebetsberg in Israel bekam sie von einer Beterin einen Bibelvers: «Erfreue dich an Jesus, und Gott wird deine Herzenswünsche erfüllen.» Durch ein Onlineportal lernte sie mit 34 Jahren Angelo kennen, einen Italo-Schweizer, der sehr schnell ihr Herz eroberte. Die beiden heirateten 2016 und besuchen heute als Familie eine Freikirche. Durch viele Gespräche erkannte Raffaela den Unterschied zwischen Religiosität und einer echten Beziehung zu Jesus. Sie hält fest: «Im hörenden Gebet lernte ich, Jesu Stimme immer besser zu erkennen.»

Angekommen

Heute arbeitet die Juristin im COFFEE&DEEDS («Kaffee und Taten»). Dieses Café, mitten im Multikulti-Quartier Zürich-Schwamendingen, bietet neben feinem Kaffee und selbstgebackenen Süssigkeiten auch ein offenes Ohr und ein aktives Netzwerk für Menschen aus der Nachbarschaft. So hilft Raffaela, dass Menschen sich miteinander vernetzen und ist als Integrationsbegleiterin selbst aktiv darin, Briefe oder Bewerbungen zu schreiben, begleitet Menschen zur KESB oder anderen Ämtern. «Ich wollte immer auswandern – jetzt bringt Gott Leute aus aller Welt zu mir», sagt die engagierte Mutter von zwei Söhnen (zehn- und acht-jährig) lächelnd. In ihrer Freizeit unterstützt sie Aktionen gegen Menschenhandel und Kindsmissbrauch und wohnt mit ihrer Familie unweit der Kirche Hirzenbach, die das Café vor zehn Jahren gegründet hat. Sie begleitet Menschen durch Gespräche, mit juristischem Wissen, vermittelt Hilfe, versteht psychische Not: «Ich weiss, wie sich Depression und Suizidgedanken anfühlen…»

Sie leitet den Deeds-Bereich. Im COFFEE&DEEDS beginnt man den Tag mit Gebet und versucht, nach Jesu Vorbild eine COFFEEFamily fürs Quartier zu sein. Im Café werden Deutsch- und Englischkonversationskurse, Bibelstudium, Elki-Singen, Konzerte und vieles mehr angeboten. Raffaela ist in ihrer Bestimmung angekommen und erlebt, dass Menschen Hilfe, neue Zuversicht und auch Jesus finden: «Gott wird durch Gemeinschaft und Taten erfahrbar.»

Zum Thema:
Den Glauben entdecken
Ein neues Gebot: Liebe deinen Übernächsten
ICF eröffnet Café: Nicolas Legler: «Kirche ist zuallererst Gemeinschaft»

Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Jesus.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung