Hoffnung im Herzen des Chaos

Hoffnung inmitten von Trümmern
2024 griffen bewaffnete Banden das Nationalgefängnis von Port-au-Prince an und befreiten bis zu 4'000 Insassen. Sie attackierten den Flughafen und der Betrieb musste eingestellt werden. Seither regiert das Chaos. Doch es gibt auch Hoffnung.

In den Strassen von Port-au-Prince heisst Gewalt für Tausende von Familien der neue Alltag. Gangs massakrieren und übernehmen die Kontrolle über ganze Stadtviertel hinweg. Fast eine Million Menschen sind aufgrund der wachsenden Unsicherheit auf der Flucht. Viele Krankenhäuser, Schulen und Organisationen mussten ihre Pforten schliessen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet Hunger, viele Kinder sind von Unterernährung betroffen. Die humanitäre Hilfe bleibt begrenzt, da die NGOs vor grossen logistischen und sicherheitstechnischen Herausforderungen stehen.

Als wir vor über sieben Jahren nach Haïti kamen, hätten wir uns nie vorstellen können, dass die Lage so katastrophal werden könnte. Wir hatten uns dafür entschieden, unter dem haitianischen Volk zu leben, ihren Alltag, ihre Hoffnungen, aber auch ihre Prüfungen zu teilen. Wir wollten mit ihnen leben, um sie besser zu verstehen und ihnen zu dienen.

Eine unerwartete Flucht

Im März 2024 änderte sich alles. Nach einem Angriff auf das Nationalgefängnis in Port-au-Prince und der plötzlichen Schliessung des Flughafens sassen wir inmitten des Chaos fest. Ohne Ausweg. Drei Wochen eingesperrt, im Rhythmus der ständigen Schüsse lebend, Lebensmittel und Wasser notdürftig lagernd, wenig Schlaf und die Angst, dass die Gangs unsere Nachbarschaft überrennen würden. Drei Wochen lang erlebten wir, was so viele haitianische Familien tagtäglich durchmachen. Das erschütterte uns zutiefst.

Nach endlos langen Wochen öffnete Gott einen Weg. Mit gepanzerten Autos fuhren wir los, dann vier Stunden lang mit Motorrädern über steinige Pisten in den Bergen, bevor wir ein Schiff bestiegen, das uns schliesslich in die Dominikanische Republik brachte.

Inzwischen haben wir uns entschieden, unsere Familie in der Dominikanischen Republik anzusiedeln, während wir weiterhin aus der Ferne mit unserem Team in Haïti zusammenarbeiten. Dies ermöglicht es uns auch, regelmässig nach Haïti und zurückzufliegen.

IRIS Port-au-Prince: Eine Mission, die nicht nachlässt

Trotz allem hält unser Team IRIS in Port-au-Prince durch. Unsere Vision ist es, Familien auszurüsten, damit sie das Evangelium leben und die Liebe Gottes in ihrer Umgebung weitergeben können. Wir wollen ihnen helfen, ihre Kinder in einem gesunden Umfeld aufzuziehen, in dem christliche Werte im Mittelpunkt stehen.

Im Zentrum dieser Mission steht das Gemeinschaftszentrum «Espérance»: ein Ort des Lebens, des Austauschs und der Heilung, in dem sich die Eltern jede Woche treffen. Es ist ein Ort, an dem sie über ihre Traumata austauschen, Trost finden, ein gutes Essen geniessen und die Botschaft des Evangeliums hören.

Es gibt mehrere Initiativen, um diese Familien zu unterstützen: Schulhilfe für die Kinder, Verteilung von Lebensmitteln, medizinische Versorgung sowie individuelle Betreuung, die auf jeden Einzelnen zugeschnitten ist.

Kainos: Wiedererlangung der Würde durch Arbeit

In einem Land, in dem mehr als 60 Prozent der Bevölkerung arbeitslos ist, werden die Menschen von humanitärer Hilfe abhängig. Kainos ist ein kleines Hotel mit vier Zimmern und einem Café- und Restaurantbereich. Es beherbergt Missionare sowie Einheimische und wurde in diesem Jahr für viele zu einem Zufluchtsort, da es in einer relativ ruhigen Gegend liegt. Kainos hat zudem über 37 Kinder aufgenommen, die wegen des Bandenkriegs aus ihrer Nachbarschaft fliehen mussten.

Das Projekt zielt darauf ab, lokal Arbeitsplätze zu schaffen und beruflich auszubilden, damit Eltern arbeiten und ihre Familien versorgen können – eine seltene Gelegenheit in der heutigen Zeit.

Ein engagiertes, unterstütztes und vernetztes Team

Jonathan und Flore Meyer mit ihren Söhnen

Im Zentrum all dessen steht unser einheimisches Team, ohne das nichts weitergehen könnte. Wir arbeiten mit sechs haitianischen Mitarbeitern zusammen, die jeden Tag mit Mut und Ausdauer in einem äusserst unsicheren Umfeld kämpfen.

Es ist uns ein besonderes Anliegen, sie zu begleiten, sie zu ermutigen und ihnen wohltuende Erholungszeiten zu ermöglichen. Jede Woche organisieren wir ein Online-Treffen über Zoom: eine Zeit der Einheit, des Lachens und des Teilens, mit Zeiten zum Spielen, Zuhören, Bibellesen, Lobpreisen und Ermutigen. Gemeinsam planen wir die Projekte und stellen uns den zahlreichen logistischen und menschlichen Herausforderungen, die das Gelände an uns stellt.

Hoffnung inmitten des Sturms

Inmitten dieses Sturms sehen wir, dass Gott weiterhin handelt. So gehen wir mit Hoffnung auf bessere Zeiten für Haïti voran, stützen uns auf Christus und geben uns ihm voll und ganz hin.

Haïti besteht für uns nicht aus Statistiken, sondern aus Namen, Gesichtern und Freunden. Wanguerre, der weiterhin an der Universität studiert. Suzette und ihre Tochter, Jovanie, die die Geburt eines kleinen Jungen erwartet, Jean Jean, der bei seiner Familie geblieben ist, Ketly, die ihren Mann auf brutale Weise verloren hat. So viele, die weiterhin Widerstand leisten und Liebe, Hoffnung und Frieden in ihre Umgebung bringen. Zu ihnen und diesem Land hat Gott uns eine tiefe Liebe ins Herz gelegt, und darum geben wir nicht auf. 

Dieser Artikel erschien im Magazin von SMG - Making Mission Possible

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Autor: Jonathan und Flore Meyer
Quelle: SMG Making Mission Possible

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