Was Israels Angriffe für iranische Christen bedeuten

Angriff auf den Iranischen Staatssender Irib am 16. Juni 2025
Israels Angriff auf iranische Nuklearanlagen hat bei vielen Christen in der Diaspora gemischte Gefühle ausgelöst: Hoffnung auf das Ende eines repressiven Regimes trifft auf Angst um das eigene Volk und die gefährdete Untergrundkirche in Iran.

Seit wenigen Tagen besteht eine Waffenruhe zwischen dem Iran und Israel, doch die Spannung zwischen den zwei Ländern ist greifbar, auch innerhalb des Irans. Seit Beginn der israelischen Angriffe auf den Iran am 13. Juni 2025 sorgt sich Shahrokh Afshar um die Mitglieder seiner Gemeinde, die noch im Land geblieben sind. Der ehemalige Muslim und Gründer der «Fellowship of Iranian Christians» – der ersten iranisch-christlichen Organisation in den USA – leitet heute eine Online-Gemeinschaft persischsprachiger Gläubiger in sechs Ländern.

Eine Frau aus seiner Online-Gemeinde entschied sich trotz der Massenflucht, in Teheran zu bleiben. Sie schilderte Afshar eine beklemmende Atmosphäre aus Angst und Schmerz. Der iranische Staat, so berichtet sie, überwache Telefonate und nehme Menschen auf offener Strasse fest. Am Sonntag, den 22. Juni, liess das Regime einen Mann wegen angeblicher Spionage hinrichten. Eine Freundin ihrer Tochter verlor bei einem israelischen Luftschlag ihre gesamte Familie.

Zutiefst verängstigt

«Sie bat die Gemeinde um Gebet, vor allem darum, dass es keine Vergeltungsschläge gegen die USA geben möge, weil der Krieg sonst noch schlimmere Ausmasse annehmen könnte», sagt Afshar. Die iranische Untergrundkirche, ergänzt er, sei «zutiefst verängstigt». Tagelang waren viele Iraner ohne Strom, Wasser und Internetzugang.

Seit 30 Jahren legt Afshar regelmässig seine Hände auf eine Landkarte Irans und betet. Er beschreibt die Ambivalenz vieler Iraner: «Einerseits freut man sich, wenn jemand kommt, um einen von diesem Diktator zu befreien», sagt er mit Blick auf den obersten Führer Ali Khamenei. «Andererseits ist es das eigene Land, das eigene Viertel, die eigenen Freunde, die bombardiert werden. Wie soll man sich da fühlen?»

«Freiheit hat ihren Preis»

Fünf iranische Christen in der Diaspora, mit denen das französische Internetportal «Info Chrétienne» sprach, berichten übereinstimmend: Trotz der Angst vor Bombenangriffen begrüssen viele Iraner gezielte Schläge gegen das Regime. Diese Einschätzung stützen sie auf Gespräche mit Angehörigen sowie Online-Berichte.

«Die Menschen leiden, aber sie wissen, dass Freiheit ihren Preis hat», erklärt Hormoz Shariat, Gründer von «Iran Alive Ministries», einer christlichen Medienplattform. Shariat berichtet, dass viele Iraner Israel geradezu anflehen, eine ähnliche Operation durchzuführen wie im vergangenen Jahr im Libanon; damals wurden Dutzende Hisbollah-Kämpfer getötet, Hunderte verletzt.

Schläge gegen Regime werden unterstützt

Die Mehrheit wolle keinen langwierigen Krieg mit zahllosen Toten, betont er. Doch gezielte, chirurgisch präzise Schläge gegen die Führungsriege des Regimes würden unterstützt. Viele hoffen auf einen baldigen Umbruch.

Der Gottesstaat ab 1979 brach mit dem Westen, verbot westliche Kleidung und schränkte grundlegende Menschenrechte ein. Darunter litten sowohl Muslime als auch Christen, die heute weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Laut dem Weltverfolgungsindex von Open Doors zählt der Iran zu den zehn gefährlichsten Ländern für Christen. Besonders Konvertiten aus dem Islam riskieren Verhaftung und lange Haftstrafen wegen angeblicher «westlicher Einflussnahme».

Proteste niedergeschlagen

Laut einer «BBC»-Recherche starben nach den Protesten im Zuge des Todes von Mahsa Amini – einer 22-Jährigen, die in Polizeigewahrsam verstarb – mehr als 75 Menschen durch staatliche Gewalt.

Ein iranischer Jude, der 1975 in die USA auswanderte und sich zum Christentum bekehrte, erklärt, dass viele Iraner in der Diaspora das Regime weniger scharf kritisieren, weil sie das Land vor der Islamisierung verlassen haben. Wer die Unterdrückung selbst erlebt habe, sei ernüchtert. Zum Schutz seiner Familie bleibt er anonym.

Ein muslimischer Freund von ihm habe nach Aminis Tod die Moschee verlassen – aus Protest gegen die Gewalt. «Tausende Moscheen sollen inzwischen geschlossen worden sein», berichtet er. Manche machen die fehlende Finanzierung dafür verantwortlich, andere den massiven Besucherschwund.

Iranisches Volk zahlt den Preis

Said Najafy, iranischer Christ und Gemeindeleiter in Belgien, erinnert daran, dass das Regime seit 1979 die Vernichtung Israels anstrebt und dass das iranische Volk den Preis dafür zahlt. Er selbst stammt aus einer praktizierenden muslimischen Familie und lebte bis 2000 im Iran. Einige seiner Verwandten flohen kürzlich aus Teheran.

«Wir wollen zurück zu einer Zeit, in der wir Freunde waren», sagt er bezüglich der früheren Beziehung zwischen Israel und dem Iran. «Wir beten und hoffen, dass dieses Regime bald fällt.»

Najafy nahm kürzlich an virtuellen Gebetstreffen mit iranischen Christen und vier persischsprachigen Gemeinden in Belgien teil. Er berichtet, dass Christen in Teheran sowohl für den Schutz der Zivilbevölkerung beten als auch dafür dankbar sind, dass «Israel das Werkzeug sein könnte, um dieses dämonische Regime nach fast 50 Jahren zu stürzen.»

Zusammenbruch in wenigen Wochen möglich

Shirin Taber, iranisch-amerikanische Christin und Autorin von «Muslims Next Door», beobachtet die iranische Protestbewegung genau. Ihre Organisation «Empower Women Media» setzt sich für Gleichberechtigung und Religionsfreiheit ein; Rechte, die sie als Kern einer zukünftigen Reform Irans sieht.

Laut Taber ist die Widerstandsbewegung mehrschichtig. Die Generation Z sei mutig, technologieaffin und bereit zu demonstrieren – aber das allein reiche nicht. «Viele haben mit dem Leben bezahlt», betont sie. Eine zweite Ebene agiere verdeckt: Unternehmer, Tech-Experten, Künstler, Journalisten. Sie glaubt, dass ein Zusammenbruch des Regimes in wenigen Wochen möglich ist; und dass diese Kräfte bereitstehen.

Shariat ist zurückhaltender. Er sieht interne Machtkämpfe innerhalb des iranischen Establishments. Er selbst sendet weiterhin täglich christliche Programme nach Iran – trotz der Angriffe. Die junge, wachstumsstarke iranische Kirche sei verängstigt, sagt er. «Unsere Botschaft an die Gläubigen lautet: Ihr seid anders. Habt keine Angst», erklärt Shariat. «Jetzt ist die Zeit, Jesus sichtbar zu machen. Tröstet die anderen.» Christen auf dem Land würden bereits Geflüchtete aus Teheran aufnehmen.

Afshar ermutigt seine Online-Gemeinde zur Lectio Divina – einer alten christlichen Praxis, die dazu einlädt, «in Gottes Gegenwart zu verweilen und zu Füssen Jesu zu sitzen», wie er sagt. Eine Christin aus Teheran, die sich dieser Praxis widmet, sagte ihm: «Ich habe keine Angst – ich übe mich täglich darin, Gottes Nähe zu spüren.»

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Autor: Jill Nelson / Daniel Gerber
Quelle: Info Chrétienne / gekürzte Übersetzung: Livenet

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