«Das Leben wird an seinen Tiefpunkten geformt»

Thomas Gugger im Talk
Die Gemeinde in Wil lebt. Als Livenet Chefredaktor Florian Wüthrich sich näher informieren wollte, wurde er an den reformierten Diakon Thomas Gugger verwiesen. Tatsächlich hat der langjährige Brückenbauer viel zu sagen.

«Am Anfang war es nicht so einfach, als Berner in die Ostschweiz zu kommen», erinnert sich der Berner Diakon Thomas Gugger an seinen Umzug nach Wil. Die damalige Absicht war, drei bis fünf Jahre in der reformierten Kirche in Wil zu arbeiten – doch es sollte anders kommen. «Wir kamen in eine Gemeinde und merkten, dass Gott etwas bereithält.» In der Folge sind sie bereits seit 35 Jahren in Wil und jetzt wird Thomas pensioniert.

Voller Elan in den neuen Lebensabschnitt

Nun tritt Thomas mit 63 Jahren in den Ruhestand. Er freut sich, dies als «Übergangsgestalter» und nicht als «Abgangsverwalter» tun zu können. Als «Pensionär» sieht er sich nicht, da er weiterhin aktiv ist und mit dem Wort «Frührentner» wurde er ebenfalls nicht warm. So fand er den bezeichnenden Begriff «Übergangsgestalter». Das passt, denn schliesslich habe er jetzt wieder Raum für Neues.

«Ich habe das Glück, dass ich Familienvater sein darf. Ich durfte vier Kinder aufziehen und habe jetzt fünf Grosskinder. Dabei merkte ich, dass es bei jeder Phase der Erziehung darum geht, dass wir das Loslassen lernen.» Da geht es darum, dass Kinder selbständig werden. Dieses Denken sei ihm auch in der Gemeindearbeit wichtig geworden. «Früher verstand ich mich stark als Leiter und ich ging darin auf. Heute bin ich froh, Begleiter sein zu dürfen.» So nimmt er sich Menschen an die Seite und hofft, dass diese bald besser sind als er selbst.

Drei lebensverändernde Fragen

«Ich hatte eine sehr spezielle Arbeitsstelle», ist Thomas dankbar. «Deshalb bin ich auch so lange geblieben.» Er bezweifelt, dass viele Diakone in Schweizer Landeskirchen so arbeiten dürfen, wie es ihm möglich war. «Ich durfte mich spezialisieren auf Mitarbeiterförderung, Glaubensschulung und Glaubensvertiefung.» Für diese Dinge schlägt sein Herz. «Mein Motto ist: Ich möchte Menschen in den Himmel lieben.» Anfänglich habe er auch vieles andere getan, doch die Gemeinde ermöglichte es ihm, sich immer spezifischer einzubringen.

Als junger Diakon hatte Thomas eine einschneidende Gotteserfahrung. Dabei hörte er drei Fragen, die sein weiteres Leben bestimmten. «Wie viele Personen haben durch dich zum Glauben gefunden? Wie viele Personen haben durch dich eine Wiederherstellung erlebt? Wie viele Ehepaare wurden durch deinen Dienst heil?» Damals habe er sich gefragt, was denn Ewigkeitswert habe. In der Folge strebte er danach, Menschen in die Nachfolge von Jesus zu führen. «Ich gab Gott meine Bereitschaft, meinen Teil beizutragen. Doch ich wusste nicht wie.» Es folgten Alphalive-Kurse, Ehe-Kurse und später seine Tätigkeit als Coach.

Ein fruchtbares Miteinander

Im Laufe der Jahre hatte Thomas allein in den Alphalive Kursen ungefähr 1'500 Teilnehmer – etliche dieser Kurse wurden regional, mit mehreren Gemeinden, durchgeführt. Heute freut er sich, wie Gemeinden sich als Ergänzung schätzen und nicht mehr als Konkurrenz wahrnehmen. Er erinnert sich an Zeiten, als dies noch anders war.

In der Theologie würden die Gemeinden stark übereinstimmen, während es in der Glaubenspraxis Unterschiede gibt. Dies betrifft beispielsweise den Umgang mit dem Heiligen Geist oder die Weise, wie Gottesdienste abgehalten werden. Im Talk gibt Thomas Einblick in das Miteinander der verschiedenen Gemeinden und was ihm dabei in den vergangenen Jahrzehnten wichtig geworden ist.

Was kommt nach der Pensionierung?

Thomas freut sich, in einer Freikirche den MyLife Workshop einzuführen und Leiter für die Durchführung anzuleiten. «Was ich auch sehr auf dem Herz habe, ist das Pilgern.» Einfach mit jemandem «eine Meile zu pilgern» und dabei über irgendwelche Fragen des Lebens zu diskutieren, gefällt ihm. Dabei sei es auch kein Problem, einmal fünf Minuten schweigend nebeneinander herzugehen, bis jemand seine Gedanken ausdrückt. «Es ist meine Art, bei Menschen Fragen zu wecken und ihnen nicht Antworten auf Fragen zu geben, die sie noch gar nie gestellt haben.»

Coaching und Pilgern will Thomas ausbauen und sich bewusst mehr Zeit für seine Grosskinder nehmen. «Mit ihnen kann ich viel darüber lernen, zurückzustehen und sie in ihren Entwicklungen zu beobachten.»

Nicht Gottes Wirken erkennen, sondern Gott selbst

«Das Leben wird an seinen Tiefpunkten geformt», ist Thomas überzeugt. Wenn alles rund läuft, geschehe dies weniger. Als er beispielsweise vor dem Grab seines ersten Grosskindes stand, welches bei der Geburt gestorben war, sah er sich mit etwas konfrontiert, welches in seinem Lebenskonzept bislang schlicht keinen Platz gehabt hatte. «An solchen Tiefpunkten ist mein Leben geformt worden.» Da gehe es auf einmal nicht mehr um Erfolg, sondern nur noch darum, dass da ein Gott ist, der ihn sieht.

Eine wichtige Erkenntnis für Thomas ist, sich als denjenigen zu verstehen, der er ist; und nicht als das, was er tut. In diesem Sinne habe er auch Gott lange aufgrund dessen verstanden, was er tut. Er wollte immer dort sein, wo Gott etwas tut. «Das ist eine gefährliche Zielverfehlung», weiss er heute. Inzwischen kennt er Gott, aufgrund dessen, wer er ist. An diesem Gott orientiert er sich und zwar unabhängig davon, ob er gerade sichtbar handelt oder nicht.

Hier geht es zum Talk:

Zum Thema:
Dossier: Livenet-Talk
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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